Ausrufung der Frühwarnstufe im März, Ausrufung der Alarmstufe im Juni
Die Frühwarnstufe war bereits am 30. März 2022 ausgerufen worden. Während in der Politik Stimmen laut werden, nun direkt die letzte, also die Notfallstufe in Kraft zu setzen, hat der Präsident der BNetzA, Klaus Müller, dies bislang abgelehnt. Auch wir sehen hierfür derzeit keinen Anlass.
Bundeswirtschaftsminister Habeck hat jedoch am 23. Juni 2022 die zweite Krisenstufe ausgerufen. Diese liegt bei einer Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt, der Markt aber noch in der Lage ist, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen, ohne dass nicht marktbasierte – also hoheitliche – Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Auch bei Ausrufung der Alarmstufe gelten die Europäischen Binnenmarktregeln weiter und die Gasversorgungsunternehmen gewährleisten weiterhin die Versorgung mit Erdgas gemäß § 53a EnWG. Hierfür stehen die marktbasierten Maßnahmen des Notfallplans zur Verfügung. Die Fernleitungs- und Verteilernetzbetreiber ergreifen im Rahmen ihrer Systemverantwortung Maßnahmen gemäß §§ 16 und 16a EnWG.
Im Raum steht, ob die BNetzA eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland feststellen wird. Diese Feststellung kann sowohl auf der Alarm- als auch auf der Notfallstufe getroffen werden und hat zur Folge, dass alle hiervon betroffenen Energieversorgungsunternehmen nach § 24 EnSiG entlang der Lieferkette das Recht haben, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen – unabhängig von bestehenden Verträgen und etwaigen Preisgarantien. Diese Feststellung der BNetzA ist dafür aber konstitutiv! Mit anderen Worten: Preiserhöhungen aufgrund der Ausrufung der Alarmstufe sind im Rahmen von vertraglichen Preisveränderungen unzulässig.
Marktliche Maßnahmen vor und in einer Gasmangellage
Am 20. Juni 2022 hat die BNetzA ein Papier veröffentlicht, in welchem weitere marktliche Instrumente beschrieben werden, mit denen der industrielle Gasverbrauch reduziert und damit eine etwaige Gasmangellage eingedämmt werden soll.
Hierzu zählt beispielsweise das „Gasauktions-Modell“ als neues zusätzliches Regelenergieprodukt. Mit diesem sollen industrielle Großverbraucher ihre Bereitschaft anbieten können, ihren Gasverbrauch zu von ihnen selbst bestimmten Zeitpunkten zu reduzieren. So sollen Industriekunden, die selbst einen Bilanzkreis führen, oder ihre Lieferanten über die Regelenergie-Plattform Trading Hub Europe (THE) ihre Angebote zur Bereitstellung von Gasmengen einstellen. THE soll diese Angebote dann im Fall eines Gas-Engpasses abrufen können. Die günstigsten Angebote sollen den Zuschlag erhalten, ähnlich wie eine Auktion.
Mit dieser Maßnahme sollen die Unternehmen eine hohe Flexibilität erhalten und selbst mitbeeinflussen können, zu welchen Zeitpunkten eine Drosselung oder Abschaltung ihrer Prozesse sinnvoll ist.
Eine Gesetzesänderung ist für dieses neue Regelprodukt laut dem Papier nicht erforderlich und die Einführung ist noch für diesen Sommer geplant.
Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage
Ebenfalls in Planung ist ein Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage. Ziel des Gesetzentwurfs ist, dem Strommarkt für einen befristeten Zeitraum zusätzliche Erzeugungskapazitäten zur Stromerzeugung mit den Energieträgern Stein- und Braunkohle sowie Mineralöl zur Verfügung zu stellen. Dazu sollen Kraftwerke genutzt werden, die gegenwärtig nur eingeschränkt verfügbar sind, demnächst stillgelegt würden oder sich in einer Reserve befinden. Durch diese zusätzlichen Erzeugungskapazitäten soll die Stromerzeugung in mit Erdgas befeuerten Kraftwerken soweit wie möglich ersetzt werden können, um Erdgas einzusparen.
Mit diesem Gesetz soll unter anderem das EnWG geändert werden. Interessant sind insbesondere die geplanten §§ 50g und 50h EnWG-Entwurf (EnWG-E). Mit § 50g EnWG-E wird für Gaslieferverträge, die eine Mindestabnahmeverpflichtung vorsehen, alle Vereinbarungen für unwirksam erklärt, die eine Weiterveräußerung nicht verbrauchter Gasmengen untersagen. Die Weiterveräußerung soll eine effektive Allokation von Gas ermöglichen, die bei einer knappen Verfügbarkeit von Gas entlastend wirkt. § 50h EnWG-E soll eine spezielle Informationspflicht für Gaslieferanten gegenüber Letztverbrauchern mit registrierender Leistungsmessung, um sicherzustellen, dass der Austausch zwischen Lieferanten und Letztverbrauchern über einen möglichen Weiterkauf von Gasmengen gefördert wird, soweit der Letztverbraucher seinen Gasbezug einschränkt und somit Gasmengen frei werden. Auch diese Regelung soll eine effizientere Allokation von Gasmengen ermöglichen.