3 Minuten Lesezeit 23 Juni 2022
Gas

Aktuelle Lage der Gasversorgung in Deutschland: Am 23. Juni wurde die Alarmstufe ausgerufen!

Von Christoph Fabritius

Partner | Infrastructure Markets Leader Tax & Law | Rechtsanwalt | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Leidenschaftlicher Prozessanwalt und Berater. Begeisterter Düsseldorfer, wo er mit der Familie lebt. Liebt auch die Ruhe, beim Snowboarden, Segeln und Golfen.

3 Minuten Lesezeit 23 Juni 2022

Die EU plant weitere Sanktionen gegen Russland, Russland drosselt die Gasimporte, Deutschland hat einen Notfallplan.

Überblick

  • Der Notfallplan Gas regelt die Gasversorgung in Deutschland in einer Krisensituation.
  • Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hatte zunächst am 30. März 2022 die sogenannte Frühwarnstufe des Notfallplans Gas in Deutschland ausgerufen.
  • Seit dem 23. Juni 2022 gilt die zweite Krisenstufe, die sogenannte Alarmstufe.
  • Laut Lagebericht der Bundesnetzagentur (BNetzA), mit Stand 23. Juni 2022 (12:00 Uhr), ist die Lage angespannt, aber die Gasversorgung stabil.

Der Notfallplan Gas wurde vom Bundeswirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit der Gaswirtschaft und der BNetzA erstellt und erstmals im Dezember 2012 veröffentlicht. Der Notfallplan entspricht dabei den Anforderungen der sogenannten SoS-Verordnung (Verordnung (EU) 2017/1938 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2017, über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010).

Die SoS-Verordnung unterscheidet im Verlauf einer Versorgungskrise drei Krisenstufen: Die Frühwarnstufe, die Alarmstufe und die Notfallstufe. Auf den ersten beiden Stufen (Frühwarn- und Alarmstufe) bewältigen die zuständigen Marktakteure eigenverantwortlich mit ihrem Instrumentarium (insbesondere gemäß dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)) die Versorgungsengpässe. Auf der dritten Stufe muss hingegen gemäß der SoS-VO ergänzend auf ein hoheitliches Instrumentarium zurückgreifen werden, um die Versorgung zur Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Gas unter besonderer Berücksichtigung der geschützten Kunden sicherzustellen. Solche Eingriffe sind nur entsprechend der Verfahrensregeln des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG) und das Gassicherungsverordnung zulässig.

Die Zuständigkeit für die Ausrufung und Feststellung der Frühwarn- und Alarmstufe liegt beim BMWK. Die Feststellung der Notfallstufe erfolgt gemäß § 3 EnSiG durch Verordnung der Bundesregierung und wird im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Die Krisenstufen werden durch Presseerklärung bekannt gegeben und die Europäische Kommission unverzüglich darüber in Kenntnis gesetzt.

Ausrufung der Frühwarnstufe im März, Ausrufung der Alarmstufe im Juni

Die Frühwarnstufe war bereits am 30. März 2022 ausgerufen worden. Während in der Politik Stimmen laut werden, nun direkt die letzte, also die Notfallstufe in Kraft zu setzen, hat der Präsident der BNetzA, Klaus Müller, dies bislang abgelehnt. Auch wir sehen hierfür derzeit keinen Anlass.

Bundeswirtschaftsminister Habeck hat jedoch am 23. Juni 2022 die zweite Krisenstufe ausgerufen. Diese liegt bei einer Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt, der Markt aber noch in der Lage ist, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen, ohne dass nicht marktbasierte – also hoheitliche – Maßnahmen ergriffen werden müssen.

Auch bei Ausrufung der Alarmstufe gelten die Europäischen Binnenmarktregeln weiter und die Gasversorgungsunternehmen gewährleisten weiterhin die Versorgung mit Erdgas gemäß § 53a EnWG. Hierfür stehen die marktbasierten Maßnahmen des Notfallplans zur Verfügung. Die Fernleitungs- und Verteilernetzbetreiber ergreifen im Rahmen ihrer Systemverantwortung Maßnahmen gemäß §§ 16 und 16a EnWG.

Im Raum steht, ob die BNetzA eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland feststellen wird. Diese Feststellung kann sowohl auf der Alarm- als auch auf der Notfallstufe getroffen werden und hat zur Folge, dass alle hiervon betroffenen Energieversorgungsunternehmen nach § 24 EnSiG entlang der Lieferkette das Recht haben, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen – unabhängig von bestehenden Verträgen und etwaigen Preisgarantien. Diese Feststellung der BNetzA ist dafür aber konstitutiv! Mit anderen Worten: Preiserhöhungen aufgrund der Ausrufung der Alarmstufe sind im Rahmen von vertraglichen Preisveränderungen unzulässig.

Marktliche Maßnahmen vor und in einer Gasmangellage

Am 20. Juni 2022 hat die BNetzA ein Papier veröffentlicht, in welchem weitere marktliche Instrumente beschrieben werden, mit denen der industrielle Gasverbrauch reduziert und damit eine etwaige Gasmangellage eingedämmt werden soll.

Hierzu zählt beispielsweise das „Gasauktions-Modell“ als neues zusätzliches Regelenergieprodukt. Mit diesem sollen industrielle Großverbraucher ihre Bereitschaft anbieten können, ihren Gasverbrauch zu von ihnen selbst bestimmten Zeitpunkten zu reduzieren. So sollen Industriekunden, die selbst einen Bilanzkreis führen, oder ihre Lieferanten über die Regelenergie-Plattform Trading Hub Europe (THE) ihre Angebote zur Bereitstellung von Gasmengen einstellen. THE soll diese Angebote dann im Fall eines Gas-Engpasses abrufen können. Die günstigsten Angebote sollen den Zuschlag erhalten, ähnlich wie eine Auktion.

Mit dieser Maßnahme sollen die Unternehmen eine hohe Flexibilität erhalten und selbst mitbeeinflussen können, zu welchen Zeitpunkten eine Drosselung oder Abschaltung ihrer Prozesse sinnvoll ist.

Eine Gesetzesänderung ist für dieses neue Regelprodukt laut dem Papier nicht erforderlich und die Einführung ist noch für diesen Sommer geplant.

Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage

Ebenfalls in Planung ist ein Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage. Ziel des Gesetzentwurfs ist, dem Strommarkt für einen befristeten Zeitraum zusätzliche Erzeugungskapazitäten zur Stromerzeugung mit den Energieträgern Stein- und Braunkohle sowie Mineralöl zur Verfügung zu stellen. Dazu sollen Kraftwerke genutzt werden, die gegenwärtig nur eingeschränkt verfügbar sind, demnächst stillgelegt würden oder sich in einer Reserve befinden. Durch diese zusätzlichen Erzeugungskapazitäten soll die Stromerzeugung in mit Erdgas befeuerten Kraftwerken soweit wie möglich ersetzt werden können, um Erdgas einzusparen.

Mit diesem Gesetz soll unter anderem das EnWG geändert werden. Interessant sind insbesondere die geplanten §§ 50g und 50h EnWG-Entwurf (EnWG-E). Mit § 50g EnWG-E wird für Gaslieferverträge, die eine Mindestabnahmeverpflichtung vorsehen, alle Vereinbarungen für unwirksam erklärt, die eine Weiterveräußerung nicht verbrauchter Gasmengen untersagen. Die Weiterveräußerung soll eine effektive Allokation von Gas ermöglichen, die bei einer knappen Verfügbarkeit von Gas entlastend wirkt. § 50h EnWG-E soll eine spezielle Informationspflicht für Gaslieferanten gegenüber Letztverbrauchern mit registrierender Leistungsmessung, um sicherzustellen, dass der Austausch zwischen Lieferanten und Letztverbrauchern über einen möglichen Weiterkauf von Gasmengen gefördert wird, soweit der Letztverbraucher seinen Gasbezug einschränkt und somit Gasmengen frei werden. Auch diese Regelung soll eine effizientere Allokation von Gasmengen ermöglichen.

Fazit

Die Lage auf dem Gasmarkt ändert sich durch den anhaltenden Konflikt zwischen Russland, der Ukraine bzw. der EU sowie die hieraus resultierenden Sanktionen laufend. Es kann daher nicht abgesehen werden, wann die dritte Krisenstufe ausgerufen wird, welche hoheitliche Eingriffsmaßnahmen ermöglicht. Die Internationale Energieagentur warnt, dass Russland seine Gaslieferungen nach Europa ganz einstellen könnte, um sein politisches Druckmittel zu verstärken. Jedenfalls ist zu erwarten, dass die Gaspreise weiter steigen. Unabhängig davon bleibt aber für alle Akteure das Problem, wie mit den dramatischen Preisveränderungen umgegangen wird. Das betrifft nicht bloß die Gasversorger, sondern auch die Unternehmen auf der Absatzseite, also Strom- und Fernwärmeunternehmen, aber natürlich auch Gewerbe und Industrie, die Energie als Vorprodukt einsetzen. „Schmelzende Margen“ sind ein großes Thema. Hier empfehlen wir, bei neu abzuschließenden Verträgen unbedingt Vertragsklauseln aufzunehmen.

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Von Christoph Fabritius

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