3 Minuten Lesezeit 2 August 2022
Gasleitung

Brennstoffwechsel „Fuel Switch“ wird vereinfacht, um die Abhängigkeit von Gas zu verringern

Von Sebastian Helmes

Director | Rechtsanwalt | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Sebastian Helmes ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei EY Law mit den Schwerpunkten Energie- und Umweltrecht.

3 Minuten Lesezeit 2 August 2022
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Schnellere Genehmigungsverfahren bei Brennstoffwechsel

Überblick
  • Aufgrund des befürchteten Mangels an Gas als Energieträger wird die Möglichkeit eines Brennstoffwechsels erleichtert.
  • Dazu wurde ein Bundesgesetz erlassen, welches auch Änderungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) enthält.
  • Ziel der Maßnahmen ist es, Energie- und Industrieanlagen mit Einsparpotenzial an Gas zu unterstützen.
  • Verbände kritisieren, dass die Maßnahmen nicht ausreichen und zu viele Hürden verbleiben.
  • Die Europäische Kommission hat eine Verordnung zur Koordination der Maßnahmen im Fall einer Gasmangellage entworfen, die Mitgliedstaaten zu einer Nachfragesenkung verpflichten könnte.

Die Bundesregierung und der Bundestag befürchten eine über Preissteigerungen hinausgehende Gasmangellage. Zum Schutz der Wirtschaft und der Bevölkerung werden deshalb umfangreiche Maßnahmen zur Versorgungssicherheit geleistet. Neben dem Import von verflüssigtem Erdgas (LNG) und dem Aufbau einer Infrastruktur über Terminals umfassen diese Maßnahmen auch das Ausnutzen von Einsparpotenzialen. Ein solches sieht der Bundestag mit dieser Gesetzesnovelle bei Industrieanlagen, die den Energieträger Gas durch einen Brennstoffwechsel („Fuel Switch“) mit einem anderen Energieträger wie etwa Heizöl austauschen können.

Das Gesetz enthält eine Ermessensreduzierung („auf Null“) der Behörden dahingehend, dass bei Genehmigungsbedürftigkeit eines solchen Wechsels die Genehmigung hierfür stets zu erteilen ist, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Insoweit steht der Genehmigungsbehörde in diesem Fall kein Ermessensspielraum zu. Zudem wurde die Bundesregierung vom Bundestag beauftragt, mit den Ländern darauf hinzuwirken, dass alle bestehenden Spielräume im Genehmigungsrecht ausgenutzt werden. Mit der weiteren Reduzierung der Gasliefermenge durch die Nordstream I Pipeline erhöhte sich das Risiko für die Wirtschaft bereits unmittelbar nach der Gesetzesveröffentlichung.

Die Neuerungen im Überblick

Das am 8. Juli 2022 im Bundesgesetzblatt veröffentlichte „Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage durch Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes und weiterer energiewirtschaftlicher Vorschriften“ enthält insbesondere folgende Neuerungen:

  • Mit § 1 Abs. 1 Nr. 5 EnSiG wird die Exekutive ermächtigt, Verordnungen zu erlassen, um von Anforderungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) sowie von Lärm- und Luftvorschriften abzuweichen.
  • Das BImSchG erhält die neuen §§ 31a bis 31d (Brennstoffwechsel bei einer Mangellage), die insbesondere materielle Abweichungen von Emissionsgrenzwerten und den Betrieb von Abgasreinigungsanlagen im Geltungsbereich der 13. BImSchV (Verordnung über Großfeuerungs-, Gasturbinen- und Verbrennungsmotoranlagen) sowie von bestimmten Emissionsvorschriften der 44. BImSchV (Verordnung über mittelgroße Feuerungs- Gasturbinen- und Verbrennungsmotoranlagen) erlauben.
  • Die neuen Regelungen beziehen sich nicht auf mit dem Brennstoffwechsel einhergehende oder dafür betriebstechnisch erforderliche Maßnahmen an der Anlage. Solche Maßnahmen bedürfen weiter ggf. einer Änderungsgenehmigung; andernfalls wird eine nicht genehmigte Anlage betrieben.
  • In einem Schreiben des Umweltministeriums (BMUV) wird darauf hingewiesen, dass über beantragte Abweichungen von Emissionsgrenzwerten durch die neuen Regelungen der §§ 31a – 31d BImSchG in einem Verfahren eigener Art („sui generis“) zu entscheiden ist, welches durch seine Sonderstellung keine Öffentlichkeitsbeteiligung erfordert.
  • Zu beachten sind zudem konkretisierende Regelungen auf Landesebene, nachzulesen im NRW „Fuel Switch“ Erlass, in den niedersächsischen „Vollzugshinweisen“ zur Gesetzesnovelle sowie in einschlägigen Veröffentlichungen der Umweltministerien der Länder.

Fazit

Die Vereinfachung eines Brennstoffwechsels kann den Betreibern von Energie- und Industrieanlagen neue Optionen eröffnen, um mit den steigenden Gaspreisen umzugehen und den Risiken einer Gasknappheit entgegenzuwirken. Europarechtliche Grundlage ist die Richtlinie 2010/75/EU (Industrie-Emissionsrichtlinie/IE-RL), deren Art. 30 Abs. 5 eine Abweichung bei Mangellagen ermöglicht. Diese Mangellage, konkretisiert in 31a – 31d BImSchG, ist laut Bundestagsdrucksache 20/2664 als gegeben anzusehen.

Dennoch seien die Verfahren weiterhin zu langwierig, um schnellstmöglich auf andere Energieträger umzustellen, kritisiert der Industrieverband BDI. Gefordert wird etwa, dass das europäische Umweltrecht vorübergehend nicht zur Anwendung gebracht werden sollte. Zudem müsste die Abweichungsverordnung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 EnSiG zügig erlassen werden, mit der befristete Gesetzesabweichungen zur Prävention von Krisenfällen ermöglicht werden.

Auf europäischer Ebene wird nach einem Vorschlag der Kommission nun im Ministerrat und Parlament über eine Verordnung zu koordinierten Maßnahmen für die Senkung der Gasnachfrage beraten. Die Mitgliedstaaten hatten sich zuvor auf eine rechtlich unverbindliche Senkung der Gasnachfrage im Umfang von 15 % verständigt. Der Entwurf der Kommission sieht in den Art. 4 ff. die Möglichkeit eines „Unionsalarms“ vor, mit dem die Mitgliedstaaten in Ausnahmefällen zu konkreten Maßnahmen zur Reduktion der Gasnachfrage verpflichtet werden könnten.

Für Betreiber verbleiben trotz der erlassenen Gesetzesänderungen offene Rechts- und Verfahrensfragen, die sich im Rahmen eines umfangreichen Brennstoffwechsels ergeben. Insbesondere die strafrechtliche Relevanz eines nicht genehmigten Anlagebetriebs (vgl. etwa § 327 StGB) macht eine umfassende Rechtsprüfung erforderlich, um auch bei einem Brennstoffwechsel compliant zu sein.

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Sebastian Helmes ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei EY Law mit den Schwerpunkten Energie- und Umweltrecht.