Der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 18.10.2022, Az. C-677/20) hatte über eine Vorlage des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 18.08.2020, 1 ABR 43/18) in einem Verfahren zu entscheiden, das die Frage der Wirksamkeit einer SE-Beteiligungsvereinbarung zum Gegenstand hatte.
In der Ausgangsgesellschaft (vor dem Formwechsel zur SE) bestand gemäß den Vorgaben des deutschen Mitbestimmungsgesetzes der 18-köpfige Aufsichtsrat je zur Hälfte aus Mitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Zwei dieser Arbeitnehmervertreter waren auf Vorschlag der Gewerkschaften in einem getrennten Wahlgang bestimmt worden. Im Rahmen der späteren SE-Umwandlung einigten sich die Verhandlungsparteien in der Beteiligungsvereinbarung auf die Verringerung der Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder. Zwei Gewerkschaften stritten nun mit der formgewechselten SE vor dem BAG um die Wirksamkeit und den Fortbestand der ursprünglichen Beteiligungsvereinbarung mit Blick auf ihr ursprüngliches Recht auf einen separaten Wahlgang zur Bestimmung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat.
Das BAG war der Ansicht, dass auf der Basis deutschen Rechts dem Antrag der Gewerkschaften stattzugeben und die Unwirksamkeit der Regelung in der Beteiligungsvereinbarung festzustellen wäre. Gleichzeitig bestanden beim BAG aber Zweifel, ob die EU-Richtlinie 2001/86/EG evtl. hinsichtlich der Arbeitnehmerbeteiligung ein geringeres Schutzniveau als das deutsche Recht vorsehe und um Auslegung der Richtlinie gebeten. Gemäß der Richtlinie muss grundsätzlich die getroffene Beteiligungsvereinbarung in qualitativ gleichwertigem Maß und in Bezug auf alle Komponenten zumindest dem Ausmaß vor Umwandlung entsprechen (Vorher-Nachher-Prinzip).
Der EuGH entschied nun, dass durch die streitgegenständliche Beteiligungsvereinbarung nicht mehr sichergestellt werden könne, dass auch Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat beteiligt seien. Dies stünde dem Zweck des getrennten Wahlgangs für die Kandidaten der Gewerkschaften entgegen. Die entsprechenden Regelungen in der strittigen Beteiligungsvereinbarung genügten daher nicht den Mindestanforderungen des § 21 Abs. 6 SEBG.
Zugleich betonte der EuGH, dass das Recht, einen bestimmten Anteil an Arbeitnehmervertretern zur Wahl vorzuschlagen, nicht nur deutschen Gewerkschaften vorbehalten sein dürfe, sondern auf alle in der SE, ihren Tochtergesellschaften und Betrieben vertretenen Organisationen ausgeweitet werden müsse.