3 Minuten Lesezeit 15 August 2022
Kaputtes Sparschwein

Haftung der Geschäftsleiter für Zahlungen nach Insolvenzreife

Von Nikolai Weber

Partner | Head of Restructuring & Insolvency Law | Rechtsanwalt | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Nikolai Weber ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei EY Law und leitet den Bereich Restrukturierung und Insolvenzrecht.

3 Minuten Lesezeit 15 August 2022
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OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.12.2021, Az.: 12 U 23/21

Überblick
  • Ab dem Eintritt der Insolvenzreife, also der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung, besteht für die Geschäftsleiter juristischer Personen ein erhebliches persönliches Haftungsrisiko. 
  • Mit dem zum 01.01.2021 neu eingeführten § 15b InsO hat der Gesetzgeber die verschiedenen zuvor in den einzelnen gesellschaftsrechtlichen Regelwerken enthaltenen Haftungsvorschriften (z. B. § 64 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG) nicht nur in der Insolvenzordnung zusammengeführt, sondern auch einige inhaltliche Änderungen vorgenommen. 
  • Anhand der noch zu § 64 GmbHG a. F. ergangenen Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 09.12.2021 (Az.: 12 U 23/21) sollen nachstehend die alte und die neue Rechtslage gegenübergestellt werden.

Der Beklagte war im Zeitraum 05.08.2015 bis 06.10.2015 alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Am 25.07.2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Schuldnerin war bereits seit dem Jahr 2009 überschuldet im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO. Gestützt auf § 64 Satz 1 GmbHG a. F. verlangte der Insolvenzverwalter vom Beklagten die Erstattung von vier Barabhebungen vom Geschäftskonto der Schuldnerin im Zeitraum vom 28.08.2015 bis zum 02.10.2015 in Höhe von insgesamt EUR 78.150,00, die zur Zahlung von Löhnen und Gehältern für Mitarbeitende sowie für Anschaffungen zur Erreichung des Geschäftszwecks verwendet wurden.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf

Die Klage des Insolvenzverwalters war in beiden Instanzen erfolgreich. Das OLG Düsseldorf hat bejaht, dass es sich um masseschmälernde Zahlungen gehandelt hat. Es sei im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Zahlungen kein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt und dort verblieben. Die Arbeits- oder Dienstleistungen, die als Gegenleistung für Lohn- und Gehaltszahlungen erbracht wurden, stellten keinen für die Gläubiger verwertbaren Vermögensvorteil dar. Die angeschafften Gegenstände seien bei Insolvenzeröffnung nicht vorhanden gewesen.

Auch einen Ausschluss der Haftung nach § 64 Satz 2 GmbHG a. F. hat das OLG Düsseldorf verneint. Nach dieser Vorschrift ist Haftung ausgeschlossen, wenn die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren. Im Sinne des § 64 Satz 2 GmbHG a. F. mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar seien, so das OLG Düsseldorf, aber nur solche Zahlungen, durch die der Geschäftsleiter eine eigene straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Verantwortung vermeidet, einer persönlichen Haftung entgeht oder die Zahlung zur Abwendung von Nachteilen von der Masse geboten ist. Auf die in Rede stehenden Zahlungen treffe dies nicht zu.

Beurteilung nach neuer Rechtslage

Im Ergebnis dürfte der Fall auch auf der Grundlage des neuen § 15b InsO gleich zu entscheiden sein. In der Begründung ergeben sich jedoch Abweichungen, die bei leicht veränderter Sachlage zu einem anderen Ergebnis führen würden.

Auch nach § 15b Abs. 1, 4 InsO gilt – ebenso wie bei § 64 GmbHG a. F. – mit Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft grundsätzlich ein Zahlungsverbot, das im Falle von Verstößen mit einer persönlichen Ersatzpflicht der Geschäftsleiter sanktioniert ist. Ausgenommen vom Zahlungsverbot sind – auch dies ebenso wie bei § 64 GmbHG a. F. – Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Im Unterschied zum alten Recht wird nun aber in § 15b Abs. 2, 3 InsO konkretisiert, welche Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind und welche nicht. Danach gilt, dass eine Privilegierung von Zahlungen grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn und solange sich die Geschäftsleiter rechtskonform im Sinne des § 15a InsO verhalten. Dies ist nur der Fall bei Zahlungen, die vor Ablauf der Insolvenzantragsfristen des § 15a InsO (maximal drei Wochen bei Zahlungsunfähigkeit und maximal sechs Wochen bei Überschuldung) geleistet wurden, und solange die Geschäftsleiter Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben. Für Zahlungen nach Ablauf der Insolvenzantragsfristen des § 15a InsO scheidet eine Privilegierung indes grundsätzlich von vornherein aus.

Da in dem der Entscheidung des OLG Düsseldorf zugrunde liegenden Fall die Insolvenzreife der Gesellschaft bereits Jahre vor der Vornahme der streitgegenständlichen Zahlungen eingetreten war, waren die Fristen des § 15a InsO längst abgelaufen, sodass nach neuer Rechtslage eine Privilegierung der Zahlungen allein deshalb ausscheidet. Wären die Insolvenzantragsfristen des § 15a InsO noch nicht abgelaufen gewesen, dürfte die Beurteilung nach neuer Rechtslage hingegen anders ausfallen. Solange sich die Geschäftsleiter rechtskonform im Sinne des § 15a InsO verhalten, gelten nach § 15b Abs. 2 Satz 1 InsO Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Was genau unter einer Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang zu verstehen ist, ist indes noch umstritten. Nach dem Gesetzeswortlaut sollen insbesondere solche Zahlungen erfasst sein, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen. Die Verwendung der Formulierung „insbesondere“ bedeutet, dass es auch Zahlungen geben muss, die zwar nicht der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, aber dennoch als im ordnungsgemäßen Geschäftsgang vorgenommen gelten. In der Literatur wird dies allerdings nicht durchgängig so gesehen.

Fest steht aber, dass nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers für Zahlungen, die von einem im Sinne des § 15a InsO rechtskonform handelnden Geschäftsleiter vorgenommen werden, ein großzügigerer Maßstab als bisher gelten soll. Vor allem sollen die Schranken der Notgeschäftsführung entfallen. Insofern spricht vieles dafür, dass – anders als vom OLG Düsseldorf nach alter Rechtslage entschieden – etwa die Zahlung von Löhnen und Gehältern künftig ebenfalls privilegiert sein können.

Eine weitere Neuerung ist, dass sich die Ersatzpflicht nach § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO reduziert, wenn der Geschäftsleiter nachweist, dass der Gläubigerschaft ein geringerer Schaden als die vorgenommenen Zahlungen entstanden ist. Hier ist bislang aber noch völlig unklar, welche Anforderungen an eine entsprechende Darlegung und Beweise durch den Geschäftsleiter zu stellen sind. Im Fall des OLG Düsseldorf hätte der Geschäftsleiter zu seiner Entlastung – jedenfalls theoretisch – möglicherweise dazu vortragen können und müssen, welchen Wert die mit den streitgegenständlichen Zahlungen bezahlten Mitarbeitenden für die Gesellschaft geschaffen haben. Inwieweit einem Geschäftsleiter ein solcher Vortrag praktisch möglich ist, scheint allerdings zweifelhaft.

Fazit

Nach der neuen Rechtslage kommt es für die Haftung von Geschäftsleitern für Zahlungen nach dem Eintritt der Insolvenzreife entscheidend darauf an, ob sie sich im Sinne des § 15a InsO rechtskonform verhalten haben. Wichtig ist daher, dass der Eintritt von Insolvenzgründen rechtzeitig erkannt wird und dass umgehend die erforderlichen Maßnahmen, also entweder Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzgründe oder die Vorbereitung eines Insolvenzantrags, eingeleitet und vorangetrieben und rechtzeitig abgeschlossen werden. Zudem sollten diese Maßnahmen dokumentiert werden. Nur so besteht überhaupt die Chance einer haftungsrechtlichen Privilegierung von Zahlungen.

Darüber hinaus muss abgewartet werden, um wie viel großzügiger die Rechtsprechung den Maßstab für nach § 15a InsO rechtskonform handelnde Geschäftsleiter künftig bemessen wird. Bis zur Klärung ist bei Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife nach wie vor allgemein Zurückhaltung geboten.

Über diesen Artikel

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Nikolai Weber ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei EY Law und leitet den Bereich Restrukturierung und Insolvenzrecht.