4 Minuten Lesezeit 14 Dezember 2021
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Koalitionsvertrag – Auswirkungen auf Gesellschaftsrecht und Compliance

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Der Koalitionsvertrag sieht zahlreiche Änderungen im Gesellschafts- und Unternehmensrecht vor. Wir geben einen kompakten Überblick:

Überblick
  • Geplante Ausweitung der unternehmerischen Mitbestimmung auf Ebene des Drittelbeteiligungsgesetzes
  • Fokus auf Compliance: präziser Rechtsrahmen für internal investigations, Umsetzung der Hinweisgeberrichtlinie und Unternehmenssanktionengesetz
  • Digitalisierung des Gesellschaftsrechts
  • Zunehmende Bedeutung von ESG-Faktoren

Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Freien Demokraten vom 24.11.2021 trägt den Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. Geplante Vorhaben der Koalition, die Auswirkungen auf das Gesellschaftsrecht, das Unternehmensrecht im weiteren Sinne und die Compliance-Belange von Unternehmen haben, finden sich an mehreren Stellen des Koalitionsvertrags. Aus unternehmensrechtlicher Perspektive hervorzuheben sind insbesondere die nachfolgenden Punkte:

Unternehmerische Mitbestimmung

Die Koalition will die unternehmerische Mitbestimmung in Unternehmen weiterentwickeln. Ziel ist es, „eine Behinderung der demokratischen Mitbestimmung im Unternehmen“ (S. 71 des Koalitionsvertrags) und damit die missbräuchliche Umgehung geltender Mitbestimmungsregelungen nach dem Drittelbeteiligungsgesetz und dem Mitbestimmungsgesetz zu verhindern.

Im Einzelnen will sich die Koalition dafür einsetzen, dass die aus dem Mitbestimmungsgesetz bekannte Konzernzurechnung (§ 5 MitbestG) auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen wird (S. 72 des Koalitionsvertrags). Die Ampelkoalition will sich zudem dafür stark machen, dass „es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt)“ (S. 71 des Koalitionsvertrags). Bezüglich der unternehmerischen Mitbestimmung der SE, die durch supranationale Regelungen (SE-VO, SE-Beteiligungs-RL) vorgegeben wird, stellt sich allerdings die Frage, ob die Koalition eine rein nationale Regelung anstrebt, um den weitgehend durch die europäische SE-RL vorgegebenen Einfriereffekt einzuschränken, oder ob eine Anpassung der mitbestimmungsrechtlichen Regelungen für die SE auf europäischer Ebene angestrebt wird. Eine europäische Regelung erscheint unwahrscheinlich, berücksichtigt man, wie lange die Einführung der Europäischen Gesellschaft gebraucht hat, und den Umstand, dass die europäischen Institutionen bei einer ersten Evaluierung von SE-VO und SE-RL durchaus Verbesserungsbedarf konstatierten, allerdings eine Anpassung politisch für praktisch nicht umsetzbar hielten. Eine rein nationale Einschränkung des Einfriereffekts erscheint hinsichtlich ihrer Zulässigkeit fraglich. Als Stellschraube könnte insoweit wohl vor allem § 18 Abs. 3 SEBG in Betracht zu ziehen sein, indem man das Überschreiten der Schwellenwerte des DrittelbG und des MitbestG als einen Unterfall struktureller Änderungen qualifiziert.

Daneben beabsichtigt die Koalition, die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz zu übertragen, sofern „faktisch eine echte Beherrschung vorliegt“ (S. 72 des Koalitionsvertrags). Eine entsprechende Anpassung könnte auf der Ebene des Drittelbeteiligungsgesetzes mit der Konsequenz erfolgen, dass eine Vielzahl von Konzernen mit im Durschnitt mehr als 500, aber weniger als 2.000 inländischen Arbeitnehmern, die in einem nur faktisch, d. h. ohne rechtliche Eingliederung und ohne Beherrschungsvertrag, beherrschten Konzernunternehmen tätig sind, künftig in den Geltungsbereich des Drittelbeteiligungsgesetzes einbezogen würden. Dies hätte zur Folge, dass zwingend Aufsichtsräte mit einem Drittel Arbeitnehmerbeteiligung auf der Ebene der Konzerngesellschaften zu bilden wären, denen im Durchschnitt mehr als 500 inländische Arbeitnehmer zugerechnet werden können. Dies dürfte insbesondere bei größeren mittelständischen Unternehmen von Bedeutung sein, die bisher durch Verzicht auf Eingliederung bzw. Abschluss eines Beherrschungsvertrags die Zurechnung verhindert haben.

Die Ampelkoalition will sich ferner dafür einsetzen, dass bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen von Gesellschaften nationale Beteiligungsrechte respektiert und gesichert werden. Ziel ist es, die demokratische Mitbestimmung auf europäischer Ebene und europäische Betriebsräte zu fördern und weiterzuentwickeln. Auch wenn der Koalitionsvertrag diesbezüglich nur die betriebliche Mitbestimmung erwähnt, dürfte auch hier die Stoßrichtung eine Mitbestimmungsgestaltung – etwa auf der Grundlage des MgVG – sein.

Unternehmenssanktionengesetz

Auf Seite 111 des Koalitionsvertrags wird ausgeführt, dass die Koalition plant, die Vorschriften über Unternehmenssanktionen zu überarbeiten. Nähere Ausführungen dazu, ob die Überarbeitung eine grundlegende Neufassung des in der vergangenen Legislaturperiode knapp gescheiterten Verbandssanktionengesetzes darstellen oder ob es sich nur um die Überprüfung und Anpassung des gesetzlichen Rechtsrahmens zur „Sanktionshöhe“ (S. 111 des Koalitionsvertrags) handeln soll, lässt sich dem Koalitionsvertrag nicht eindeutig entnehmen. Der Koalitionsvertrag führt insoweit lediglich konkret aus, dass eine Überprüfung der Regelungen zur „Sanktionshöhe“ erfolgen soll. Ob dies zu einer Erhöhung oder zu einer systematischen Neufassung des derzeitigen Sanktionensystems führt, bleibt abzuwarten. Mit Blick auf die Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 09.05.2017 (BGH, Urteil vom 09.05.2017 – I StR 265/16) könnte die gesetzliche Regelung von Sanktionen – und Strafzumessungsregelungen unter Berücksichtigung präventiver sowie repressiver Compliance-Maßnahmen zu einer größeren Rechtsanwendungsklarheit führen. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Koalition ferner plant, Unternehmen mehr Rechtssicherheit bei der Erfüllung von Compliance-Pflichten zu geben. Es soll insbesondere ein präziser Rechtsrahmen für interne Untersuchungen geschaffen werden (S. 111 des Koalitionsvertrags).

Umsetzung der europäischen Hinweisgeberrichtlinie

Die Koalition setzt sich zum Ziel, die europäische Hinweisgeberrichtlinie (EU/2029/1937), deren Umsetzungsfrist am 17.12.2021 abläuft, zeitnah umzusetzen. Die Ampelkoalition möchte in diesem Zusammenhang über die EU-Regeln hinaus Hinweisgeber nicht nur bei Meldungen von Verstößen gegen EU-Recht, sondern auch dann vor rechtlichen Nachteilen schützen, wenn sie erhebliche Verstöße gegen nationale Vorschriften oder sonstiges erhebliches Fehlverhalten melden, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Koalition flankiert dies mit dem Ziel, die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien zu verbessern und hierfür beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote zu prüfen.

Sorgfaltspflichten in der Lieferkette

Die Koalition kündigt eine Überprüfung und ggf. Verbesserung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, das im Juni 2021 verabschiedet worden ist, an und möchte den europäischen Richtlinien- und Verordnungsgeber im Zusammenhang mit der Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten in der Lieferkette auf europäischer Ebene unterstützen. Die Ampelkoalition unterstützt damit den Vorschlag der EU-Kommission zu einem Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten und das von der EU vorgeschlagene Importverbot von Produkten aus Zwangsarbeit.

Level Playing Field für Internal Investigations?

Interne Untersuchungen sind mittlerweile mehr oder weniger fester Bestandteil des Umgangs mit Non-Compliance im Unternehmen. Gleichzeitig gilt allerdings auch, dass aufgrund der Sensibilität des Untersuchungsgegenstandes und der Eingriffe in die Rechte Dritter schwierige Interessenabwägungen zu treffen sind, etwa wann und unter welchen Voraussetzungen der E-Mail-Account oder das Diensttelefon eines Mitarbeiters ausgelesen werden darf. Offensichtlich um die doch nicht unerheblichen Unsicherheiten in diesem Bereich zu reduzieren, will die Koalition hier einen präzisen Rechtsrahmen vorgeben (S. 111 des Koalitionsvertrags).

Digitalisierung des Gesellschaftsrechts

Die jüngst geschaffenen Möglichkeiten zum Einsatz von Videokommunikation im Zusammenhang mit der Gründung einer GmbH („Online-Gründung“) will der Koalitionsvertrag ersichtlich vorsichtig erweitern. Die Koalition will ferner Online-Hauptversammlungen auch nach Beendigung der Corona-Pandemie dauerhaft erlauben und hierbei die Aktionärsrechte uneingeschränkt wahren. Angesichts des Auslaufens der derzeit geltenden Erleichterungen für die Abhaltung virtueller Hauptversammlungen im August 2022 wird es von Interesse sein, wie schnell die Koalition dieses Vorhaben anpacken und umsetzen wird.

Aufgabe des „One share, one vote“-Prinzips

Als doch überraschend kann man die Absicht bezeichnen, das „One share, one vote“-Prinzip, das insbesondere von der EU-Kommission, aber auch von den großen globalen Vermögensverwaltern nachdrücklich befürwortet wird, aufzugeben. Ersichtlich will man mit der Möglichkeit, Gestaltungsspielräume bei der Ausstattung von Aktien zuzulassen, den deutschen Kapitalmarkt für Digitalkonzerne attraktiver machen, die von dieser Möglichkeit in breitem Umfang Gebrauch machen, um den Gründern auch nach einem verwässernden Börsengang die Letztentscheidungsgewalt vorzubehalten. Ursächlich dürfte internationaler Konkurrenzdruck sein, insbesondere nachdem nicht nur die Niederlande mit dieser Option seit längerem um internationale Konzerne werben, sondern jüngst das Vereinigte Königreich bzw. die FCA entsprechende Änderungen angekündigt hat. Die konkrete Umsetzung bleibt abzuwarten, da bisher die gesellschaftsrechtlichen Spielräume eher gering sind und das Aktienrecht stimmrechtlose Vorzugsaktien nur bis zu einer bestimmten Grenze und unter Beachtung besonderer Kautelen erlaubt.

Neue Rechtsformen und Rechtsformvarianten

Der internationalen Fließrichtung folgend will die Ampelkoalition eine nationale Strategie für Sozialunternehmen entwickeln, um gemeinwohlorientierte Unternehmen und soziale Innovationen stärker zu unterstützen. Ob hier nach dem Vorbild Frankreichs neue Rechtsformen bzw. Rechtsformvarianten geplant sind, bleibt abzuwarten.

In gleichen Zusammenhang bekennt sich der Koalitionsvertrag dazu, eine Rechtsgrundlage für Unternehmen mit gebundenem Vermögen zu schaffen. Bei dieser von Teilen der Privatwirtschaft und Wissenschaft konzipierten Idee handelt es sich nicht (zwingend) um ein gemeinnütziges Unternehmen; vielmehr ist das Ziel eine Art Hybrid aus Stiftungselementen (Emanzipation vom Eigentümer) und Elementen einer Gesellschaft (fortdauernde Flexibilität bzgl. Satzungsgestaltung, keine staatliche Stiftungsaufsicht).

Schließlich will die Koalition das bereits einmal gescheiterte Vorhaben einer Europäischen Stiftung wieder aufnehmen und sich zusätzlich für die Schaffung eines Europäischen Vereins starkmachen.

Zunehmende Bedeutung von ESG-Faktoren

Der Koalition ist es ausweislich der Ausführungen auf den Seiten 170 und 171 des Koalitionsvertrags wichtig, dass auf europäischer Ebene ein einheitlicher Transparenzstandard für Nachhaltigkeitsinformationen für Unternehmen gesetzt wird. Sie unterstützt vor diesem Hintergrund das Vorhaben der Europäischen Kommission, eine „Corporate Sustainability Reporting Directive“ zu entwickeln und darüber hinaus einheitliche europäische Mindestanforderungen für ESG-Ratings aufzustellen. Große Ratingagenturen sollen zudem verpflichtet werden, Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Ratings aufzunehmen, wobei unklar ist, was dieser Programmsatz konkret bedeutet – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Ratingagenturen schon heute in großem Stil ESG-Ratings anbieten.

Fazit

Die im Koalitionsvertrag genannten Vorhaben der Koalition mit Blick auf das Unternehmensrecht im vorstehend dargestellten Sinne zeichnen sich nur an einigen Stellen durch konkrete Aussagen aus. Diese Aussagen beziehen sich häufig auf bereits vorhandene Gesetzentwürfe oder die Umsetzung europäischer Richtlinien. Es bleibt abzuwarten, welche der allgemein formulierten Zielsetzungen der Koalition wann und in welcher Detailtiefe umgesetzt werden.

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