9 Minuten Lesezeit 11 Juli 2022
Fluss inmitten von Bäumen gegen den Himmel

Rat verständigt sich auf ein umfassendes Klimaschutzpaket

Autoren
Sebastian Helmes

Director | Rechtsanwalt | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Sebastian Helmes ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei EY Law mit den Schwerpunkten Energie- und Umweltrecht.

Lara Schmidt

Associate | Umweltjuristin | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Lara Schmidt ist Umweltjuristin bei EY Law und im Bereich Energierecht tätig.

9 Minuten Lesezeit 11 Juli 2022
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Im Rahmen des „Fit for 55“-Paketes einigten sich die Energie- und Umweltminister:innen auf umfangreiche Ansätze im Emissionshandel zum Erreichen der Klimaziele

Überblick

  • Im Rahmen des „Fit for 55“-Paketes legte der Rat umfangreiche Änderungsvorschläge zum Erreichen der Klimaziele vor
  • Insgesamt sollen die Treibhausgasminderungsziele verstärkt werden und weitere Sektoren in den Emissionshandel aufgenommen werden
  • Absehbare ungleiche Belastungen sollen durch Ausgleich zwischen den Mitgliedstaaten und einen Klimasozialfonds abgemildert werden
  • Bisher nicht betroffene Unternehmen wie der Verkehr- und der Gebäudesektor müssen sich auf eine Teilnahme am Emissionshandel vorbereiten

Mitte Juni 2021 stellte die Europäische Kommission ein Maßnahmenpaket – das „Fit for 55“-Paket, wiederum eine Konkretisierung des European Green Deal aus dem Dezember 2019 – vor, mit dem die EU ihre nächsten Schritte zur Klimaneutralität gehen sollte. Ziel der EU ist es, die Klimaneutralität bis 2050 in Europa zu erreichen, wozu bereits bis 2030 die Netto-Treibhausgasemissionen um mindestens 55 % gegenüber 1990 gesenkt werden. Die Ziele sind nur durch Treibhausgasminderungsmaßnahmen in allen Sektoren zu erreichen. In Allgemeinen Ansätzen legte der Rat am 29. Juli 2022 nun seine Verhandlungspositionen zu einigen Legislativvorschlägen vor, wobei er sich erneut zu der Handlungsnotwendigkeit zum Klimaschutz und der Begrenzung der Erderwärmung bekannte. Darunter fällt eine Ausweitung des EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS), Lastenteilung in Nicht-ETS-Sektoren (ESR), Emissionen und Abbaus von Treibhausgasen aus Landnutzung und Landnutzungsänderungen (LULUCF), Schaffung eines sozialen Klimafonds (SCF) und neue CO2-Emissionsnormen für PkW und Lieferwagen („Verbrennerverbot“). Im Folgenden werden die Entwürfe etwas näher vorgestellt, wobei der Fokus des Beitrags auf dem Emissionshandel liegt.

Änderungen im Emissionshandel

Ein maßgeblicher Teil des vorgestellten Pakets findet sich im Vorschlag zur Änderung des europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS), durch den insgesamt drei Rechtsakte geändert werden sollen (Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union, des Beschlusses (EU) 2015/1814 über die Einrichtung und Anwendung einer Marktstabilitätsreserve für das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union und der Verordnung (EU) 2015/757). Durch die Änderung soll das Erreichen der Klimaziele, bis 2030 die Nettotreibhausgasemissionen um mindestens 55 % gegenüber 1990 zu senken und bis 2050 eine Klimaneutralität zu erreichen, vorangetrieben werden. Hierzu sollen die CO2-Zertifikate nicht wie bisher vorgesehen um 43 %, sondern um 61 % bis 2030 (Referenzjahr 2005) gesenkt werden. Durch eine Reduzierung der Gesamtobergrenze für Emissionen, die der europäische Emissionshandel für den Handel mit Emissionszertifikaten vorsieht, um 117 Millionen Zertifikate sowie die Erhöhung der jährliche Reduktionsrate der Gesamtobergrenze auf 4,2 % soll der Umweltbeitrag des Emissionshandels gestärkt werden. Eine geringere Zertifikatsmenge wirkt sich neben dem CO2-Preis auch auf andere Säulen des Emissionshandels wie die Marktstabilität, den Schutz vor Gefahr einer CO2-Emissions-Verlagerung oder den Bedarf CO2-armer Technologien aus.

Die Konzentration auf die bisherigen Emissionshandelssektoren ist nicht ausreichend, um das Gesamtziel zu erreichen. Vielmehr müssen und sollen künftig weitere Sektoren einbezogen werden. Dazu zählt u. a. auch der Seeverkehr, in dem ab 2023 Zertifikate abgegeben werden sollen, gestaffelt von 20 % der gemeldeten Emissionen bis zu 100 % der gemeldeten Emissionen in 2026. Zur Abfederung einer naturgemäß ungleichen Verteilung im Seeverkehr sollen 3,5 % der versteigerten Zertifikate an vom Seeverkehr abhängige Mitgliedstaaten verteilt werden. Ebenso sollen geografische Besonderheiten, die Winterschifffahrt und gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen berücksichtigt werden. Die Aufnahme der Seeschifffahrt soll mit der Änderung der Verordnung (EU) 2015/757 hinsichtlich der Meldung von aggregierten Emissionsdaten auf Unternehmensebene und der Berücksichtigung der Verwaltungsbehördenrolle einhergehen.

Ein funktionierender Emissionshandel bedarf der Gewährleistung der Markstabilität, die bisher über die Marktstabilitätsreserve (MSR) gesichert wurde und nun weiter gestärkt werden soll, indem die jährliche Zertifikatsannahmerate von 24 % auch über 2023 hinaus verlängert werden soll. Zudem sollen alle über die Anzahl von 400 Millionen in die MSR eingestellter Zertifikate ihre Gültigkeit verlieren. Die kostenlose Zuteilung für international tätige Unternehmen sowie die Luftfahrt soll bis 2027 schrittweise auslaufen und an das globale System CORSIA angepasst werden. Ein notwendiger CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) wurde ebenso beschlossen. 

Weitere Ergänzung des Emissionshandels

Zum bisherigen Emissionshandel wird ein neuer Emissionshandel II vom Rat vorgeschlagen, in dem sodann auch Gebäude und der Straßenverkehr ab 2027 erfasst sein sollen, indem europaweit Emissionsrechte an Händler von Kraft- und Brennstoffen verteilt werden. Auf diese Weise sollen klimafreundlichere Brennstoff gefördert werden. Besonders im Gebäudebereich sind solche mit einer Stromversorgung über fossile Brennstoffe noch nicht vom bisherigen Emissionshandel abgedeckt. Durch die hier verteilten CO2-Zertifikate sollen die Emissionen bis 2030 um 43 % (Referenzjahr 2005) gesenkt werden, wobei die vergebenen Zertifikate ab 2024 um 5,15 %, ab 2028 um 5,43 % jährlich gesenkt werden. Die Zertifikate sollen ab 2026, sofern sie nicht unter der Maßgabe der MSR eingestellt werden, versteigert werden. Eine zusätzliche Versteigerung von 30 % ist vorgesehen. Die Verwendung der Einnahmen können die Mitgliedstaaten festlegen, wobei zusätzlich zu den allgemeinen Zwecken als Verwendung beispielsweise Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Wärme- und Kälteversorgung oder zur Beschleunigung der Einführung emissionsfreier Fahrzeuge sowie der Förderung der Ladeinfrastruktur emissionsfreier Fahrzeuge in Betracht kommen.

Die dargelegten Neuerungen werden ergänzt durch eine Opt-in-Regelung für fossile Brennstoffe, vereinfachte Anforderungen an die Überwachung, die Berichterstattung sowie die Überprüfung für kleine Brennstofflieferanten und eine befristete Option, bestimmte Lieferanten von der Zertifikatsabgabe bis Dezember 2030 zu befreien. Die Befreiung können Mitgliedstaaten für Lieferanten, die einer nationalen Kohlenstoffsteuer in Höhe von oder höher als der Zertifikatspreis für den Gebäude- und Verkehrssektor unterliegen, erlassen. Ein neuer Klimasozialfonds (COM (2021) 568 final) mit einer Gesamthöhe von 59 Milliarden Euro über die Laufzeit von 2027-2032 soll zusätzlich Finanzmittel zur Verfügung stellen, die den Mitgliedstaaten den Ausgleich ungleicher Belastungen als Resultat des Emissionshandels II ermöglicht. Maßnahmen und Investitionen in effiziente Gebäude und emissionsarme Mobilität sollen damit gefördert werden können und maßgeblich an schutzbedürftige Haushalte, Kleinstunternehmen oder Verkehrsteilnehmende ausgezahlt werden. 

Lastenverteilung zur Minderung der Treibhausgasemissionen

Neben dem europäischen Emissionshandel sollen verbindliche nationale Jahresreduktionsziele in weiteren Bereichen zur Minderung der Treibhausgasemissionen beitragen. Die Lastenverteilungsverordnung deckt Sektoren ab, die nicht unter den Emissionshandel fallen. Über die Änderung der Verordnung (EU) 2018/842 sollen die Treibhausgasemissionen in allen, nicht dem EU-ETS unterfallenden Sektoren um 40 % (Referenzjahr 2005) gesenkt werden. Hierunter fallen die Landwirtschaft, der inländische Seeverkehr, die Kleinstindustrie und die Abfallwirtschaft. Aber auch die Sektoren Gebäude und Verkehr fallen teilweise in die Lastenverteilung, soweit sie nicht bereits vom Emissionshandel erfasst sind. Die höheren nationalen Ziele basieren auf einem Vorschlag der Kommission, wobei ein Erreichen der Ziele nur gemeinsam möglich sei und nationale Gegebenheiten zu berücksichtigen seien. Für die Jahre 2021-2025 wird die unter den Mitgliedstaaten austauschbaren Emissionsquote auf 10 %, für die Jahre 2026-2030 auf 20 % erhöht. Ergänzend sollen die Vorschläge der Kommission zu verstärkten Berichtspflichten, zur Möglichkeit der flexibleren Gestaltung der Nutzung von Reserven sowie die Option der Einteilung der Maßnahmen in der Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) in zwei Zeiträume übernommen werden. Insgesamt soll der Abbau um 15 % gesteigert werden, wobei der CO2-Ausstoß in diesem Bereich bis 2030 um 310 Millionen Tonnen VO2-Äquivalente gesenkt werden soll und die Emissionen den Abbau weiterhin nicht übersteigen dürfen.

CO2-Emissionsnormen im Verkehrssektor

Hinzu kommen Vorschläge für eine Anhebung der Zielvorgaben in der Verringerung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen und damit einhergehender Änderung der Verordnung (Verordnung (EU) 2019/631 im Hinblick auf eine Verschärfung der CO2-Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge im Einklang mit den ehrgeizigen Klimazielen der Union). Hersteller sollen ab 2030 CO2-Flottengrenzwerte von 55 % bzw. 50 % einhalten. Neuwagen und neue leichte Nutzfahrzeuge sollen ab 2035 zudem nur noch zugelassen werden, wenn sie kein CO2 ausstoßen. Gleichzeitig soll die Elektrifizierung des Verkehrs vorangetrieben werden. Hierzu soll eine Infrastruktur aufgebaut werden, die es den Autofahrern ermöglicht, in allen Mitgliedstaaten ihre Fahrzeuge aufzuladen. Der regulatorische Anreizmechanismus für emissionsfreie und -arme Fahrzeuge (ZLEV) soll ab 2030 abgeschafft werden. Aber auch nach 2035 sollen noch Fahrzeuge mit klimaneutralen Kraftstoffen (E-Fuels) zugelassen werden können, wofür für ein Vorschlag von der Kommission angekündigt worden ist. Eine Überprüfung der Fortschritte ist für 2026 vorgesehen.

Die nächsten Schritte

Die am 29. Juni 2022 im Rat vereinbarte Position bilden nach der Verabschiedung des „Fit for 55“-Pakets einen weiteren Schritt im Legislativprozess. Die Vorschläge stellen nun die Grundlage für weitere Verhandlungen im Europäischen Parlament dar, bevor sie nach einer Verabschiedung in den einzelnen Mitgliedstaaten – soweit erforderlich – umgesetzt werden können. Der Abschluss der Trilogverhandlungen und damit die Neuformulierung relevanter Klimaschutz-Richtlinien ist für die zweite Jahreshälfte vorgesehen.

Fazit

Die umfassenden Änderungen setzen zunächst beim europäischen Emissionshandel an, der durch höhere Reduktionsziele und die Aufnahme neuer Sektoren gestärkt werden soll. Auf diese Weise sollen das Erreichen der Klimaziele vorangetrieben werden und ein Anreiz für die Nutzung von CO2-armen Technologien geschaffen werden. Über einzelne Ausgleichsmechanismen und einen Klimasozialfonds sollen soziale Folgen abgefedert werden. Insgesamt erfassen die Änderungsvorschläge die im „Fit for 55“-Paket vorgesehenen Bereiche. Die Änderungen sollen insbesondere eine Verknappung der Zertifikate erreichen und könnten somit die Umstellung der Industrie auf klimafreundlichere Produktionsweisen unterstützen. Unternehmen und weitere Branchen wie der Seeverkehr müssen sich auf erhöhte CO2-Preise und neue Anforderungen an die Treibhausgasemission einstellen. Neu hinzu kommt der vorgeschlagene Klimasozialfonds. Des Weiteren sind Änderungen der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie, verbindliche Sektorziele und verschärfte Energieeffizienzziel vorgesehen.

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Sebastian Helmes

Director | Rechtsanwalt | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Sebastian Helmes ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei EY Law mit den Schwerpunkten Energie- und Umweltrecht.

Lara Schmidt

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