3 Minuten Lesezeit 18 September 2024
Man in Office

Bundesgerichtshof verschärft die Haftung des ausgeschiedenen Geschäftsführers

Von Nikolai Weber

Partner | Head of Restructuring & Insolvency Law | Rechtsanwalt | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Nikolai Weber ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei EY Law und leitet den Bereich Restrukturierung und Insolvenzrecht.

3 Minuten Lesezeit 18 September 2024

Wird eine Gesellschaft mit beschränktem Haftungsfonds zahlungsunfähig oder überschuldet, begründet dies für die Geschäftsleiter gem. § 15a Abs. 1 InsO die Pflicht, unverzüglich Insolvenzantrag zu stellen. Bei Verletzung dieser Pflicht droht den Geschäftsleitern neben strafrechtlichen Konsequenzen auch eine zivilrechtliche Haftung. Für ausgeschiedene Geschäftsführer hat sich das Haftungsrisiko infolge einer aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) deutlich erhöht.

Überblick
  • Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einer Gesellschaft mit beschränktem Haftungsfonds verpflichtet die Geschäftsleiter gem. § 15a Abs. 1 InsO zur unverzüglichen Stellung eines Insolvenzantrags.
  • Verletzung dieser Pflicht führt zu strafrechtlichen Konsequenzen und zivilrechtlicher Haftung für die Geschäftsleiter.
  • Geschäftsleiter sollten ein System etablieren, um die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft jederzeit im Blick zu haben.

Von praktischer Relevanz sind zivilrechtlich im Fall der Verletzung der Insolvenzantragspflicht insbesondere die Haftung gem. § 15b InsO gegenüber der Gesellschaft für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife und zum anderen die Haftung gegenüber sogenannten Neugläubigern gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO. Neugläubiger in diesem Sinne ist, wer erst nach Eintritt der Insolvenzreife Gläubiger der Gesellschaft geworden ist. Gegenüber Neugläubigern haftet der Geschäftsführer für das negative Interesse.

Ausgangsfall

In dem der Entscheidung des BGH (Urteil vom 23.07.2024, Az.: II ZR 206/22) zugrunde liegenden Fall war der Beklagte im Zeitraum von Februar 2013 bis Juni 2016 Geschäftsführer der späteren Schuldnerin. Diese war bereits seit dem Jahr 2011 durchgängig insolvenzreif. Das Insolvenzverfahren wurde jedoch erst im Juli 2018, also gut zwei Jahre nach dem Ausscheiden des Beklagten als Geschäftsführer, eröffnet.

Im Zuge der Abberufung des Beklagten als Geschäftsführer wurde im Juni 2016 ein neuer Geschäftsführer bestellt. Unter der Ägide des neuen Geschäftsführers schloss die Klägerin im Juli 2016 einen Vertrag mit der Schuldnerin, der bis zur Insolvenzeröffnung nicht erfüllt wurde. Die Klägerin verlangte als Neugläubigerin vom Beklagten Schadensersatz wegen Insolvenzverschleppung.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat eine Haftung des Beklagten wegen Insolvenzverschleppung gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO gegenüber der Klägerin als Neugläubigerin bejaht. Der Beklagte habe seine Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags verletzt.

Die Haftung des Beklagten sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen der Schuldnerin und der Klägerin gar nicht mehr deren Geschäftsführer war. Die vom Beklagten noch während seiner Stellung als Geschäftsführer begangene Verletzung der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags sei für den Schaden der Klägerin kausal. Hätte der Beklagte pflichtgemäß Insolvenzantrag gestellt, wäre es nach seinem Ausscheiden als Geschäftsführer nicht mehr zum Abschluss des Vertrags mit der Klägerin gekommen. Die Kausalität entfalle auch nicht dadurch, dass die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach dem Ausscheiden des Beklagten dem neuen Geschäftsführer oblag. Mit der Fortführung des Geschäftsbetriebs und damit auch mit dem Abschluss neuer Verträge durch die Schuldnerin sei auch nach dem Ausscheiden des Beklagten zu rechnen gewesen. Zudem könne sich ein Schädiger regelmäßig nicht damit entlasten, ein anderer habe die von ihm geschaffene Gefahrenlage pflichtwidrig nicht beseitigt. Das Verbot der Insolvenzverschleppung habe auch den Zweck, insolvenzreife Gesellschaften vom Geschäftsverkehr fernzuhalten. Dieser Schutzzweck bestehe auch nach der Beendigung der Organstellung des Geschäftsführers nach seiner Antragspflichtverletzung unverändert fort.

Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs komme nur in Betracht, wenn sich bei wertender Betrachtung das durch die Pflichtverletzung des ausgeschiedenen Geschäftsführers geschaffene Risiko bei Abschluss des zum Schaden des Neugläubigers führenden Vertrags nicht mehr auswirkt. Das sei etwa der Fall, wenn sich die Gesellschaft nach der Antragspflichtverletzung des ausgeschiedenen Geschäftsführers zunächst wieder nachhaltig erholt hatte und erst nach seinem Ausscheiden wieder insolvenzreif geworden war. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, weil die Schuldnerin seit 2011 durchgängig insolvenzreif war.

Auswirkung auf die Praxis

In der Praxis führt die Entscheidung des BGH zu einer erheblichen Verschärfung des Haftungsrisikos für Geschäftsleiter. Die besondere Brisanz der Entscheidung liegt darin, dass die Haftung auf Geschäfte ausgeweitet wird, die in eine Zeit fallen, in welcher der ausgeschiedene Geschäftsleiter keinerlei Einfluss mehr auf die Gesellschaft hat. Er kann weder den Abschluss des Geschäfts mit dem Neugläubiger verhindern noch kann er die von ihm versäumte Stellung eines Insolvenzantrags nachholen, um so die von der insolventen Gesellschaft ausgehende Gefahr für den Geschäftsverkehr zu beenden, weil es ihm hierzu an der Antragsberechtigung fehlt.

Gleichzeitig verstärkt das Urteil das Dilemma, in dem sich der Geschäftsleiter einer Gesellschaft in der Krise befinden kann. Stellt er verfrüht Insolvenzantrag, kann er sich gegenüber den Gesellschaftern schadensersatzpflichtig machen. Bei unterlassener oder verspäteter Antragstellung droht hingegen die Haftung wegen Insolvenzverschleppung. In der Literatur wurde mitunter vertreten, der Geschäftsleiter könne diesem Dilemma durch eine Amtsniederlegung entgehen. Nach der aktuellen Entscheidung des BGH hilft dem Geschäftsleiter eine Amtsniederlegung jedoch nur noch, wenn diese erfolgt, bevor er den Tatbestand der Insolvenzverschleppung verwirklicht hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Geschäftsleiter sein Amt niederlegt, bevor die Insolvenzantragsfrist des § 15a Abs. 1 InsO abgelaufen ist. Praktisch kann es allerdings extrem schwierig sein, im konkreten Fall den Fristablauf zu beurteilen. Schon die Feststellung des Fristbeginns kann problematisch sein. Der Fristbeginn knüpft an die objektive Erkennbarkeit der Insolvenzreife an, wodurch sich naturgemäß eine gewisse Unsicherheit in der Bewertung ergibt. Darüber hinaus ist die Bestimmung der Länge der Frist eine Frage des Einzelfalls. Bei den in § 15a Abs. 1 InsO genannten Fristen handelt es sich lediglich um Höchstfristen, die nur unter bestimmten Umständen vollständig ausgeschöpft werden dürfen.

Fazit

Es ist daher umso wichtiger für Geschäftsleiter, ein System zu etablieren, das sicherstellt, dass sie stets über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft im Bilde sind. Sofern sich eine wirtschaftliche Krise der Gesellschaft abzeichnet, sollte frühzeitig professioneller Rat eingeholt werden, um ein ausuferndes Haftungsrisiko zu vermeiden.

Über diesen Artikel

Von Nikolai Weber

Partner | Head of Restructuring & Insolvency Law | Rechtsanwalt | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Nikolai Weber ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei EY Law und leitet den Bereich Restrukturierung und Insolvenzrecht.