8 Minuten Lesezeit 3 Juli 2023
Financial District

Hinweisgeberschutzgesetz – Handlungsbedarf für Arbeitgeber

Autoren
Bärbel Kuhlmann

Partnerin | Regional Lead Partner EY Frankfurt/Central | Rechtsanwältin | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Bärbel Kuhlmann ist Rechtsanwältin und Regional Lead Partner bei EY Frankfurt/Central.

Christian Friedrich Bock

Senior Associate | Rechtsanwalt | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Christian Bock ist Rechtsanwalt bei EY Law und im Bereich Arbeitsrecht tätig.

Flora Weisbrod, LL.M.

Associate | Rechtsanwältin | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Flora Weisbrod ist Rechtsanwältin und seit 2021 bei EY Law im Bereich Arbeitsrecht tätig.

8 Minuten Lesezeit 3 Juli 2023
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Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) wurde nach langen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern am 11. Mai vom Bundestag verabschiedet. Arbeitgeber müssen jetzt handeln.

Überblick
  • Das Gesetz trat am 02. Juli 2023 in Kraft.
  • Das Gesetz soll Hinweisgeber, die Verstöße gegen Unionsrecht oder nationales Recht in ihrem Betrieb melden, stärker schützen.
  • Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten müssen ab Inkrafttreten des Gesetzes ein ordnungsgemäß eingerichtetes Hinweisgebersystem vorweisen können.
  • Für kleinere Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten gilt diese Verpflichtung ab dem 17. Dezember 2023.

Nachdem Deutschland die Frist zur Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie (RL 2019/1937 – „WBLR“) ins nationale Recht zunächst verstreichen ließ, verabschiedete der Bundestag im Dezember 2022 einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der WBRL, das Hinweisgeberschutzgesetz. Diesen Entwurf lehnte der Bundesrat ab. Daraufhin wurde ein neuer Regierungsentwurf, der in einen zustimmungsbedürftigen und einen nicht zustimmungsbedürftigen Teil aufgespalten wurde, auf den Weg gebracht. Nach erheblicher Kritik an der Aufspaltung wurde der Vermittlungsausschuss angerufen. Hier konnten sich Bund und Länder nun einigen. Das Gesetz wurde am 11. Mai vom Bundestag verabschiedet. Am 12. Mai stimmte der Bundesrat dem geänderten Entwurf zu. Es wird insbesondere keine Pflicht für anonyme Meldekanäle geben.

1. Anwendungsbereich

Das HinSchG soll für Arbeitgeber mit mindestens 50 Beschäftigten gelten (§§ 12, 13 HinSchG). Arbeitgeber sind danach verpflichtet, interne Meldestellen einzurichten und Informationen über den unternehmensinternen Meldeprozess und über alternative Meldewege bereitzustellen (§ 12 Abs. 1 HinSchG). Unternehmen zwischen 50 und 249 Beschäftigten können eine gemeinsame Stelle einrichten und betreiben (§ 14 Abs. 2 HinSchG). Für Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten soll eine Übergangsfrist gelten, nach der sie bis zum 17. Dezember 2023 eine interne Meldestelle einrichten müssen (§ 42 Abs. 1 HinSchG).

a. Geschützter Personenkreis

Geschützt sein sollen sämtliche Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen (hinweisgebende Person) (§ 1 Abs. 1 HinSchG). Der Kreis der hinweisgebenden Personen ist weit zu verstehen und schließt neben den regulär Beschäftigten unter anderem auch in Leiharbeit tätige Personen, Praktikant:innen, leitende Angestellte und Organmitglieder ein. 

b. Art der Meldungen

Das HinSchG schützt sachliche Meldungen und Informationen im beruflichen, unternehmerischen oder dienstlichen Bereich. Die Information muss sich auf den Beschäftigungsgeber oder eine andere Stelle, mit der die hinweisgebende Person beruflich im Kontakt stand, beziehen. Mitteilungsfähig sind strafbewehrte Verstöße (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG). Dabei muss bei Verstößen gegen Strafvorschriften kein unmittelbarer Bezug zum eigenen Arbeitsverhältnis der hinweisgebenden Person vorliegen, damit der Anwendungsbereich eröffnet ist. Bußgeldbewehrte Verstöße (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG) sind dagegen nur mitteilungsfähig, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leib, Leben oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient (z. B. § 20 MiloG, § 16 Abs. 1 AÜG, § 121 BetrVG).

Auch Sicherheitsinteressen sowie Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflichten innerhalb des Unternehmens, sind nicht vom Schutzbereich erfasst und genießen Vorrang vor dem HinSchG. Eine Ausnahme besteht bei Personen, die Geschäftsgeheimnisse bzw. vertrauliche Informationen in einem beruflichen Kontext erlangt haben. Sie genießen den Schutz i. S. d. HinSchG, wenn sie die Voraussetzungen dieses Gesetzes erfüllen und die Weitergabe des Geschäftsgeheimnisses erforderlich war, um einen Verstoß im sachlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes aufzudecken. Eine Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen bzw. vertraulichen Informationen ist damit erlaubt (§ 6 HinSchG).

2. Verfahren

Das Gesetz soll die hinweisgebende Person besonders vor Repressalien schützen und es ihr ermöglichen, Fehlverhalten und Verstöße ohne persönliche Nachteile zu melden. Hierfür können hinweisgebende Personen die interne und externe Meldestelle und die Offenlegung nutzen. Für Arbeitgeber ist die interne Meldestelle entscheidend, weil sie hierauf unmittelbar Einfluss haben und zur Einrichtung verpflichtet sind.

a. Interne Meldestelle

Um die Funktionsfähigkeit der internen Stelle zu gewährleisten, muss diese unabhängig und frei von Interessenkonflikten sein und die nötige Fachkunde besitzen. Dabei ist es nicht erforderlich, jemanden nur für die Meldestelle einzustellen. Die Aufgabe kann, bei geringem Informationsaufkommen, auch einem bzw. einer schon bestehenden Beauftragten (z. B. Korruptions , Integritäts- oder Datenschutzbeauftragten) übertragen werden. Bei größeren Unternehmen wird es wohl notwendig sein, eine Abteilung für das Betreiben der Meldestelle einzurichten. Da das zusätzliche Personal und Know-how schwer zu beschaffen sein kann, sollen Arbeitgeber die Möglichkeit haben, Dritte mit den Aufgaben der internen Meldestelle zu betrauen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 HinSchG). Dies kann aufgrund der dadurch vorhandenen natürlichen Distanz vorteilhaft sein, auch mit Blick auf die Unabhängigkeit der internen Meldestelle.

Der beauftragte Dritte kann nach der Begründung des Gesetzesentwurfs eine Konzerngesellschaft sein (sogenannte Konzernlösung). Dies hat den Vorteil, dass man bereits vorhandene Strukturen und Synergien nutzen kann. Die EU-Kommission steht dem aber kritisch gegenüber und hält dies für unvereinbar mit der WBRL. Dies gelte auch für die Nutzung des Hinweisgebersystems einer Konzernmutter durch Tochterunternehmen im Ausland. Diese müssten auch einen lokalen Meldekanal anbieten und könnten das System der Konzernmutter lediglich als zusätzliches Tool nutzen. Eine Befassung des EuGH mit dem nationalen Umsetzungsgesetz gilt daher als wahrscheinlich, sollte der Entwurf unverändert verabschiedet werden.

Für das Melden von Verstößen sind Meldekanäle einzurichten. Dabei müssen Meldungen mündlich wie auch in Textform möglich sein (§ 16 Abs. 3 Satz 1 HinSchG). Die mündlichen Meldungen müssen per Telefon oder sonstiger Sprachübermittlung ermöglicht werden. Einem Wunsch des Hinweisgebers, eine persönliche Zusammenkunft zu organisieren, hat die Meldestelle nachzukommen (§ 16 Abs. 3 Satz 3 HinSchG). Im Falle einer Meldung hat die interne Meldestelle gemäß § 17 HinSchG den Eingang der Meldung gegenüber der hinweisgebenden Person zu bestätigen und zu prüfen, ob der Anwendungsbereich des HinSchG eröffnet und wie stichhaltig die eingegangene Meldung ist. Anschließend sind gegebenenfalls angemessene Folgemaßnahmen zu ergreifen (§ 18 HinSchG). Innerhalb eines angemessenen Zeitraums (maximal innerhalb von drei Monaten) ist der hinweisgebenden Person eine Rückmeldung über Folgemaßnahmen zu geben.

b. Externe Meldestellen

Die externe Meldestelle wird vom Bundesamt für Justiz (BfJ) eingerichtet und geführt (§ 19 Abs. 1 Satz 1 HinSchG). Sie ist, ebenso wie die interne Meldestelle, unabhängig zu führen. Neben der Meldestelle des BfJ werden weitere externe Meldestellen bei der BaFin und dem Bundeskartellamt für bereichsspezifische Meldungen eingerichtet (§§ 21, 22 HinSchG). Auch kann jedes Bundesland eigene Meldestellen einrichten (§ 20 HinSchG). Die hinweisgebende Person kann frei wählen, ob sie sich zunächst an die interne Meldestelle wendet oder extern an die zuständige Behörde. Sie kann sich also direkt an eine externe Meldestelle wenden. In Fällen, in denen intern wirksam gegen Verstöße vorgegangen werden kann, soll die Meldung an eine interne Meldestelle aber bevorzugt werden.

3. Schutz der hinweisgebenden Person

a. Datenschutz und Dokumentationspflicht

Für ein effektives Hinweisgeberschutzsystem ist es unerlässlich, dass die Identitäten der betroffenen Personen geschützt werden (§ 8 HinSchG). Ebenso hat die Meldestelle alle anderen im Hinweis genannten Personen vor unbefugtem Zugriff und Bekanntmachung zu schützen. Alle bei einer Meldestelle eingehenden Meldungen sind von der zuständigen Person zu dokumentieren (§ 11 Abs. 1 HinSchG). Dauerhaft abrufbare Tonaufzeichnungen telefonischer Meldungen dürfen nur mit Einwilligung der hinweisgebenden Person erfolgen.

b. Repressalien

Gegen hinweisgebende Personen gerichtete Repressalien sind verboten. Das gilt auch für die Androhung und den Versuch, Repressalien auszuüben (§ 36 Abs. 1 HinSchG). Repressalien können direkte Maßnahmen sein, z. B. eine Kündigung, eine Abmahnung oder die (Ruf-)Schädigung, oder indirekte Maßnahmen, z. B. die Versagung einer Beförderung oder einer Gehaltserhöhung oder eine Versetzung. Dabei ist es unerheblich, ob der Arbeitgeber selbst oder eine sonstige Person, mit der die hinweisgebende Person in beruflichem Kontakt steht, die Maßnahme ergreift. Rechtsgeschäfte, die gegen das Repressalienverbot verstoßen, sind gemäß § 134 BGB nichtig.

Da es für die hinweisgebende Person herausfordernd wäre zu beweisen, dass eine Repressalie vorliegt, besteht bei einem beruflichen Nachteil, der in zeitlichem Zusammenhang mit einer Meldung oder Offenlegung eintritt, die Vermutung, dass es sich bei der Maßnahme um eine Repressalie handelt. Diese Vermutung soll aber nur dann bestehen, wenn die hinweisgebende Person dies auch selbst geltend macht. Diese Vermutung ist durch den Arbeitgeber zu widerlegen (Beweislastumkehr). Er muss aufgrund seiner Unterlagen darlegen und beweisen können, dass der Nachteil auf anderen hinreichend gerechtfertigten Gründen beruht und keine verbotene Repressalie darstellt. Erforderlich ist aufseiten des Arbeitgebers demnach eine sorgfältige Dokumentation von Personalentscheidungen. Wurde der Zusammenhang nicht widerlegt, kann der geschädigte Hinweisgeber einen entstandenen Schaden ersetzt verlangen (§ 37 HinSchG).

Hingegen wird die hinweisgebende Person nicht durch das HinSchG geschützt, wenn sich die Informationen über einen gemeldeten Verstoß als falsch herausstellen und der Hinweisgeber keinen hinreichenden Anhaltspunkt hatte, von der Richtigkeit einer Information auszugehen. In diesem Fall ist der Anwendungsbereich des HinSchG nicht eröffnet, sodass der Arbeitgeber alle arbeitsrechtlichen Maßnahmen bis hin zu einer außerordentlichen Kündigung ergreifen kann.

4. Sanktionen

Um die Anforderungen des HinSchG durchzusetzen, sind in § 40 HinSchG Bußgeldvorschriften vorgesehen. Wer vorsätzlich eine Meldung oder die auf eine Meldung folgende Kommunikation zwischen der hinweisgebenden Person und der Meldestelle verhindert oder einschränkt, eine Repressalie ergreift oder vorsätzlich oder leichtfertig das Vertraulichkeitsgebot missachtet, kann mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro sanktioniert werden. Das Nichteinrichten einer internen Meldestelle kann mit bis zu 20.000 Euro sanktioniert werden. Aber auch der fahrlässige Verstoß gegen das Vertraulichkeitsgebot wird mit bis zu 10.000 Euro sanktioniert.

5. Beteiligung des Betriebsrats

Der Betriebsrat muss über die Einführung eines Hinweisgebersystems unterrichtet werden. Dabei hat er grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht darüber, wie das Hinweisgebersystem ausgestaltet wird. Ebenso hat er ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung eines digitalen Hinweisgebersystems. Hinsichtlich der internen Meldestellen hat der Betriebsrat die Möglichkeit, mit dem Arbeitgeber bzgl. der Fachkunde von Beschäftigten in der internen Meldestelle den bestehenden Bildungsbedarf zu ermitteln und über Bildungsmaßnahmen zu beraten. Im Rahmen von Untersuchungen infolge einer Meldung kommt dem Betriebsrat grundsätzlich kein Mitbestimmungsrecht zu. Er muss allerdings über etwaige Untersuchungen unterrichtet werden und hat zu prüfen, ob die Vorschriften der DSGVO oder des BDSG eingehalten werden.

Fazit

Unternehmen sollten sich einen Überblick über die vorhandenen Prozesse verschaffen und noch vor Inkrafttreten die notwendigen Vorkehrungen treffen. Sie sollten sich eingangs fragen, ob sie die interne Meldestelle selbst einrichten oder einen Dritten beauftragen möchten. Entscheiden sich Unternehmen dafür, selbst eine Meldestelle zu schaffen, muss unbedingt sichergestellt werden, dass die umfangreichen Vorgaben rechtskonform umgesetzt werden. Dies schützt Unternehmen vor Sanktionen und verhindert, dass sich Arbeitnehmende – mangels interner Meldestelle – an externe behördliche Meldestellen wenden müssen und das Unternehmen somit die Hoheit über den Informationsfluss verliert.

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Bärbel Kuhlmann

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Christian Friedrich Bock

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Flora Weisbrod, LL.M.

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