3 Minuten Lesezeit 4 November 2022
Hochhäuser

Insolvenzrecht vs. Konzernsicht

Von Nikolai Weber

Partner | Head of Restructuring & Insolvency Law | Rechtsanwalt | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Nikolai Weber ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei EY Law und leitet den Bereich Restrukturierung und Insolvenzrecht.

3 Minuten Lesezeit 4 November 2022
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KG Berlin, Urteil vom 28.04.2022 – Az.: 2 U 39/18

Überblick
  • Betriebswirtschaftlich werden Unternehmensgruppen häufig als wirtschaftliche Einheit betrachtet. 
  • Insolvenzrechtlich jedoch erfolgt die Beurteilung für jede einzelne Gesellschaft separat. 
  • Erfolgt ausschließlich eine Gesamtbetrachtung der Gruppe, kann es sein, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten einer einzelnen Gesellschaft aufgrund eines positiven Gesamtbildes nicht erkannt werden.
  • Dies birgt Haftungsgefahren für die Geschäftsleiter, wie eine aktuelle Entscheidung des KG Berlin zeigt.

Der klagende Insolvenzverwalter nahm den Geschäftsführer der Schuldnerin auf Ersatz von nach Eintritt der Insolvenzreife geleisteten Zahlungen in Anspruch. Der Beklagte trat dem Zahlungsverlangen des Insolvenzverwalters entgegen u.a. mit der Begründung, eine zur Prüfung des Vorliegens von Insolvenzgründen von der Konzernmutter beauftragte auf Insolvenzrecht spezialisierte Kanzlei habe bescheinigt, dass weder eine Zahlungsunfähigkeit noch eine Überschuldung vorgelegen habe. Zudem seine die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar gewesen, weil sie zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin erforderlich gewesen seien.

Die Entscheidung des KG

Anders als das Landgericht hat das KG den Beklagten zur Zahlung verurteilt. Insbesondere lässt das KG die Einwände des Beklagten bezüglich der Bestätigung, dass weder eine Zahlungsunfähigkeit noch eine Überschuldung vorgelegen habe, sowie hinsichtlich der Vornahme der Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters, nicht durchgreifen.

Zahlungen nach Insolvenzreife, die zur Fortführung des Geschäftsbetriebs getätigt werden, seien, so das KG, nur dann mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters geleistet und damit der Erstattungspflicht des § 64 GmbHG a.F. entzogen, wenn ausnahmsweise durch die Betriebseinstellung eine konkrete Chance auf Sanierung und Fortführung im Insolvenzverfahren zunichte gemacht würde. Es müsse zumindest ein auf Fakten fußendes Sanierungskonzept vorliegen. Dies bedürfe eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Im vorliegenden Fall hat das KG diese Voraussetzungen verneint.

Soweit sich der Beklage auf die Aussage der von der Konzernmutter beauftragten Kanzlei zum fehlenden Vorliegen von Insolvenzgründen berufe, sei zwar allgemein anerkannt, dass ein Geschäftsführer keinen Insolvenzantrag stellen muss, wenn eine in Auftrag gegebene Prüfung, ob eine Insolvenzsituation vorliegt, zu der fachkundigen und für ihn bei der gebotenen Plausibilitätskontrolle nachvollziehbaren Feststellung führt, dass dies nicht der Fall sei. An einen das Verschulden ausschließenden Rechtsirrtum seien jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Diese seien im vorliegenden Fall u.a. deshalb nicht erfüllt, weil sich die von der Kanzlei erstellte Liquiditätsplanung auf eine Konzernbetrachtung beschränkte. Das Insolvenzrecht gehe vom Prinzip der Einzelgesellschaft aus. Eine Konzernbetrachtung sei daher für insolvenzrechtliche Zwecke unzulässig. Dies hätte auch der Beklagte erkennen müssen.

Fazit

Die Entscheidung ist für die Praxis in zweierlei Hinsicht von Interesse.

Die gute Nachricht für Geschäftsleiter lautet zunächst, dass die Entscheidung noch zur alten Rechtslage ergangen ist. Mit Wirkung zum 01.01.2021 wurde § 64 GmbHG a.F. durch § 15b InsO ersetzt. Damit verbunden war eine haftungsrechtliche Besserstellung von Geschäftsleitern, die ihren Pflichten zur Insolvenzantragstellung nach § 15a InsO ordnungsgemäß nachkommen. Unter dieser Voraussetzung gelten nach § 15b Abs. 2 Satz 1 InsO insbesondere Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, grundsätzlich als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Auf Grundlage des neuen Rechts wäre die Entscheidung des KG daher wohl gegebenenfalls – jedenfalls teilweise – zugunsten des Beklagten ausgegangen.

An dem insolvenzrechtlichen Prinzip der Einzelgesellschaft hat sich jedoch nichts geändert. Die in Unternehmensgruppen häufig anzutreffende Praxis einer konsolidierten Liquiditätsplanung ist daher auch heute noch für insolvenzrechtliche Zwecke ungeeignet. Die Prüfung des Vorliegens von Insolvenzgründen kann ausschließlich auf Grundlage einer für die jeweilige Gesellschaft erstellten Planung erfolgen. Nur wer als Geschäftsleiter eine solche Planung vorlegen kann, kann sich im Ernstfall hiermit gegen eine Inanspruchnahme verteidigen.

Über diesen Artikel

Von Nikolai Weber

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Nikolai Weber ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei EY Law und leitet den Bereich Restrukturierung und Insolvenzrecht.