Für das Bundeswirtschaftsministerium ist die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) „die größte Reform des Wettbewerbsrechts der letzten Jahrzehnte“ – neben dem GWB-Digitalisierungsgesetz. Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause stimmte der Bundestag mehrheitlich der Novelle zu. Der Bundesrat will gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen erheben. Für Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Habeck ist die 11. GWB-Novelle ein Meilenstein, die den Wettbewerb „vor allem auf vermachteten Märkten mit nur wenigen Anbietern“ beleben werde. Das sei gerade in Zeiten hoher Inflation wichtig.
Umstrittene Vermutungen bei der Vorteilsabschöpfung
Im Fall von Kartellrechtsverstößen wird die Abschöpfung der daraus entstandenen Vorteile für das Kartellamt deutlich erleichtert. Das bereits bestehende Instrument der Vorteilsabschöpfung wurde vom Bundeskartellamt bisher nicht genutzt. Die Behörde begründete dies mit den umfangreichen Voraussetzungen. Die Eingriffsmöglichkeiten sollen durch die Einfügung zweier Vermutungen im GWB erleichtert werden. Erstens: Ein Verstoß gegen die zentralen Normen des deutschen Kartellrechts oder der EU verursacht einen wirtschaftlichen Vorteil (§ 34 Abs. 4 Satz 1 GWB). Zweitens: Dieser wirtschaftliche Vorteil beträgt mindestens ein Prozent der Umsätze, die im Inland mit den Produkten oder Dienstleistungen erzielt wurden, die mit der Zuwiderhandlung im Zusammenhang stehen (§ 34 Abs. 4 Satz 3 GWB). Aus Sicht betroffener Unternehmen äußerten Wissenschaftler und andere Experten dabei in Anhörungen Zweifel, ob sich solche Vermutungen in der Praxis überhaupt widerlegen lassen.
Durchsetzung des DMA
Im Anwendungsbereich des DMA wird das Bundeskartellamt ermächtigt, die Kommission durch Untersuchungen von möglichen Verstößen gegen Art. 5, 6 oder 7 DMA bei dessen Durchsetzung zu unterstützen (§ 32g GWB). Darüber hinaus soll die zivilrechtliche Durchsetzung des DMA in das System des Zivilrechtsschutzes bei Kartellrechtsverstößen integriert werden (§§ 33 ff.).
„Störung des Wettbewerbs“ als neuer Begriff im GWB
Als politisches Kernstück der 11. GWB-Novelle ist ein neues Eingriffsinstrument vorgesehen, mit dem das Bundeskartellamt im Anschluss an eine Sektoruntersuchung festgestellte Störungen des Wettbewerbs abstellen kann. Bisher endeten Sektoruntersuchungen mit einem Bericht des Bundeskartellamts; künftig kann die Behörde verschiedene Maßnahmen anordnen, um festgestellte Störungen des Marktes zu beheben. Unabhängig von einem Wettbewerbsverstoß erhält das Bundeskartellamt damit die Befugnis, in einem ersten Verfahrensabschnitt eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs festzustellen. Der Begriff „Störung des Wettbewerbs“ wird allerdings vom Gesetzgeber nicht definiert. Das Gesetz enthält in § 32f Abs. 5 Satz 1 eine nicht abschließende Liste von vier Regelbeispielen:
- Eine unilaterale Angebots- oder Nachfragemacht
- Beschränkungen des Marktzutritts oder -austritts oder der Kapazitäten oder des Wechsels zu einem anderen Anbieter oder Nachfrager
- Gleichförmiges oder koordiniertes Verhalten
- Abschottung von Einsatzfaktoren oder Kunden durch vertikale Beziehungen
In der Gesetzesbegründung wird explizit darauf hingewiesen, dass angesichts der Vielfalt denkbarer Konstellationen eine abschließende Definition nicht möglich sei.
Abhilfemaßnahmen ...
In einem zweiten Verfahrensabschnitt wird das Bundeskartellamt ermächtigt, den von der Verfügung nach § 32f Abs. 3 Satz 1 erfassten Unternehmen „alle Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorzuschreiben, die zur Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs erforderlich sind“. Diese Maßnahmen können für diese Unternehmen weitreichende verhaltensorientierte oder quasistrukturelle Verpflichtungen umfassen. Das Gesetz nennt als mögliche Abhilfemaßnahmen insbesondere:
- Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen
- Vorgaben zu Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen
- Verpflichtung zur Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier, offener Normen und Standards durch Unternehmen
- Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen (einschließlich vertraglicher Pflichten zur Informationsoffenlegung)
- Verbot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallelverhalten von Unternehmen begünstigen
- organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen
Dieser Maßnahmenkatalog ist auch deshalb erstaunlich, weil das Bundeskartellamt in der Fusionskontrolle verhaltensbedingte Zusagen der Unternehmen rigoros ablehnt und stets nur strukturbezogene (Veräußerungs-) Zusagen akzeptiert.