4 Minuten Lesezeit 11 August 2023
Robot manufacturing in factory

Neue Produktsicherheitsverordnung

Autoren
Michael Kawalla, LL.M.

Senior Associate | Rechtsanwalt | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Michael Kawalla ist als Rechtsanwalt in unserem Nürnberger Büro in den Bereichen Dispute Resolution und Commercial tätig.

Tanja Reinhoffer

Partner | Rechtsanwältin | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Tanja Reinhoffer ist seit 2011 Rechtsanwältin bei EY Law und im Bereich Handels- und Gesellschaftsrecht tätig.

Caroline Schüler-Holst

Associate | Rechtsanwältin | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Caroline Schüler-Holst ist Rechtsanwältin bei EY Law und im Bereich Wirtschaftsrecht tätig.

4 Minuten Lesezeit 11 August 2023
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Mit der neuen Produktsicherheitsverordnung werden strengere Sicherheitsvorschriften auch für online verkaufte Produkte eingeführt, die Marktüberwachung insbesondere für Online-Marktplätze verbessert und zugleich die Verbraucherrechte für unsichere Produkte gestärkt.

Überblick
  • Geltung neuer Pflichten für Wirtschaftsakteure und Anbieter von Online-Marktplätzen und Online-Unternehmen
  • Verankerung neuer Beurteilungskriterien für die Sicherheit von Produkten
  • Kriterien zur Feststellung einer Produktänderung
  • besondere Informationspflichten bei Fernabsatz oder anderweitig online bereitgestellten Produkte

Die Verordnung EU 2023/988 über die allgemeine Produktsicherheit (engl. General Product Safety Regulation, kurz: GPSR) wurde am 23. Mai 2023 im EU-Amtsblatt veröffentlicht und löst die Produktsicherheitsrichtlinie aus dem Jahr 2001 ab, welche zum 13. Dezember 2024 aufgehoben ist. Der Wandel zum digitalen Zeitalter hat eine Aktualisierung erforderlich gemacht, um die Vorschriften zur Produktsicherheit an die digitalen und technologischen Entwicklungen anzupassen. Damit wird ein voll harmonisierter Rechtsrahmen innerhalb der EU geschaffen, der Mitgliedsstaaten keinen Spielraum für Abweichungen lässt.

Die neuen Vorschriften gelten für Wirtschaftsakteure (u. a. Hersteller, Importeure, Händler) und wurden im Anwendungsbereich erweitert um die sog Fulfilment-Dienstleister (Anbieter z. B. von Lagerhaltung, Versand oder Verpackung), Online-Unternehmen und Online-Marktplätze. 

Zentrale Pflichten

Die neuen Vorschriften sehen ein abgestuftes Pflichtensystem vor. Hersteller oder Importeure bspw. müssen gewährleisten, dass die von ihnen in den Verkehr gebrachten Produkte „sicher“ sind. Händler müssen sich vergewissern, dass die Produkte die erforderlichen Informationen zur Identifizierung enthalten. Eine wesentliche Pflicht der Wirtschaftsakteure und Anbieter von Online-Marktplätzen umfasst die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle, unter der sie kontaktiert werden können. Diese Informationen sowie die aus Sicht des Verbrauchers relevanten Sicherheitsinformationen und Anweisungen zum Produkt sind als erkennbare und lesbare Elemente auf dem Produkt selbst oder der Verpackung anzubringen. Die Wirtschaftsakteure und Online-Marktplätze müssen mit den Marktüberwachungsbehörden zusammenarbeiten, um die Produktsicherheit zu gewährleisten, und darüber hinaus ein Webportal einrichten und benutzen, das die Rückverfolgbarkeit der Produkte ermöglicht (Safety Business Gateway).

Hersteller müssen eine interne Risikoanalyse durchführen und eine allgemeine Produktbeschreibung mit sicherheitsrelevanten Eigenschaften des Produkts erstellen. Sie haben die Konformität der Produkte mit dem allgemeinen Sicherheitsgebot sicherzustellen und notfalls Korrekturmaßnahmen, wie Produktrücknahme oder -rückruf, zu ergreifen. Daneben müssen öffentlich zugängliche Kommunikationskanäle errichtet und eingehende Beschwerden in einem internen Beschwerdeverzeichnis geführt und untersucht werden.

Im Falle von Rückrufaktionen haben auch Anbieter von Online-Marktplätzen die notwendigen Informationen für Verbraucher zügig bereitzustellen. Es besteht die Pflicht zur Registrierung im Safety-Gate-Portal (einem von der Kommission zu unterhaltenden Schnellwarnsystem für Verbraucher), einschließlich der Pflicht, Angaben zur jeweiligen zentralen Anlaufstelle zu hinterlegen.

Pflicht zur Abhilfe im Fall des Produktrückrufs

Über einen Produktrückruf müssen die Verbraucher direkt, in leicht verständlicher Sprache und unverzüglich schriftlich informiert werden. Hierbei werden die vom Verbraucher erhobenen Daten für Rückrufe und Sicherheitswarnungen genutzt. 

Darüber hinaus müssen zwei der nachfolgenden Maßnahmen kostenlos angeboten werden:

  • Reparatur des zurückgerufenen Produkts,
  • Ersatz des zurückgerufenen Produkts durch ein sicheres Produkt desselben Typs mit mindestens demselben Wert und derselben Qualität oder
  • angemessene Erstattung des Wertes des zurückgerufenen Produkts (mindestens der vom Verbraucher gezahlte Preis).

Faktisch schafft die Verordnung eine produktsicherheitsrechtliche Gewährleistung im Fall des Produktrückrufs, was Auswirkungen auf die Preisgestaltung erwarten lässt.

Beurteilungskriterien für die Produktsicherheit

Entscheidend bei der Bewertung der Sicherheit von Produkten sind:

  • Eigenschaft des Produkts
  • Wechselwirkung mit anderen Produkten
  • Kennzeichnung und Warnhinweise auf dem Produkt
  • zielgruppenspezifische Aspekte
  • Erscheinungsbild, wenn dieses dazu geeignet ist, den Verbraucher dazu zu verleiten, das Produkt in einer anderen Weise als derjenigen zu verwenden, für die es bestimmt war
  • Cybersicherheitsmerkmale
  • sich entwickelnde, lernende und prädikative Funktionen des Produkts

Wesentliche Produktveränderung

Die Verordnung enthält nunmehr Kriterien zur Feststellung einer wesentlichen Produktänderung. Danach gilt eine Änderung eines Produkts als wesentlich, wenn sie sich auf die Sicherheit des Produkts auswirkt und

  • das Produkt in einer Weise verändert, die in der ursprünglichen Risikobewertung des Produkts nicht vorgesehen war;
  • sich dadurch die Art der Gefahr geändert hat, eine neue Gefahr entstanden ist oder sich das Risikoniveau erhöht hat;
  • die Änderungen nicht von den Verbrauchern selbst oder in ihrem Auftrag vorgenommen wurden.

Wer das Produkt wesentlich verändert, gilt als Hersteller und übernimmt Herstellerpflichten. Die Übernahme der Herstellerrolle setzt, wenn auch nicht explizit so erwähnt, wohl ein erneutes Inverkehrbringen voraus. 

Fazit

Zusammenfassend lassen sich die neuen Regelungen zur Produktsicherheit als weitreichend beschreiben. Sie zielen darauf ab, die Sicherheit auch von smarten Produkten zu gewährleisten und die Verantwortlichkeiten auch von Fulfillment-Dienstleistern und Anbietern von Online-Marktplätzen etc. klarer zu definieren. Durch die Einführung von Schnellwarnsystemen und die Stärkung der Verbraucherinformation sollen Risiken minimiert und die Sicherheit für Verbraucher erhöht werden.

Über diesen Artikel

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Michael Kawalla, LL.M.

Senior Associate | Rechtsanwalt | Ernst & Young Law GmbH | Deutschland

Michael Kawalla ist als Rechtsanwalt in unserem Nürnberger Büro in den Bereichen Dispute Resolution und Commercial tätig.

Tanja Reinhoffer

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Tanja Reinhoffer ist seit 2011 Rechtsanwältin bei EY Law und im Bereich Handels- und Gesellschaftsrecht tätig.

Caroline Schüler-Holst

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Caroline Schüler-Holst ist Rechtsanwältin bei EY Law und im Bereich Wirtschaftsrecht tätig.