Das Amt hatte die Sektoruntersuchung bereits 2020 begonnen. Ziel war es, schon während der Entwicklung und des Markthochlaufs strukturelle Wettbewerbsprobleme beim Infrastrukturaufbau, sowie beim Betrieb von Ladesäulen und dem Vertrieb von Ladestrom an Endkunden zu identifizieren und zu adressieren. Konkreter Anlass der Sektoruntersuchung waren Beschwerden von Verbrauchern und Marktteilnehmern, die auf strukturelle wettbewerbliche Defizite im Bereich der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur hindeuteten. So wurden nach Aussage des Amtes u. a. Hindernisse beim Zugang zu Flächen für die Errichtung von Ladeinfrastruktur, fehlende Möglichkeiten zur Durchleitung von Strom (i. S. von Drittzugang) an Ladepunkten, sowie ungünstige Preise und Konditionen an Ladepunkten sowohl für Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen (Mobility Service Provider MSP) als auch für Endverbraucher angemahnt.
Mit dem Abschlussbericht greift das Amt auf 149 Seiten bereits im Sachstandsbericht skizzierte Wettbewerbsfragen auf. Besonders bedeutsam sind die Einschätzungen des Amtes zur Definition der verschiedenen betroffenen Märkte, den jeweiligen Marktverhältnissen, sowie der bestehenden kartellrechtlichen Risiken, mit denen die Marktteilnehmer umgehen müssen. Besonders anspruchsvoll ist demnach die Situation im kommunalen Bereich; vor allem dort, wo die Kommune auf mehreren Marktstufen gleichzeitig tätig ist.
Marktabgrenzung erscheint räumlich zum Teil sehr kleinteilig
Das Bundeskartellamt unterscheidet mit Blick auf die bestehenden Marktrollen in sachlicher Hinsicht verschiedene abzugrenzende Märkte. So sieht das Amt z. B. einen eigenständigen sachlichen Markt für die zur Vergabe von Flächen, zur Errichtung und zum Betrieb von E-Ladeinfrastruktur und unterscheidet hier noch weiter zwischen Flächen für sogenannte Normalladepunkte (Leistung bis einschließlich 22 kW), Schnellladepunkte (Leistung größer 22 kWP) sowie Ultra-Schnellladepunkte (größer 150 kW) und solche Flächen, die an Autobahnen bzw. abseits davon liegen. Anbieter auf diesen sachlichen Märkten sind zum einen die öffentliche Hand, insbesondere Kommunen, als auch private Anbieter.
Ihnen stehen als Betreiber der Ladeinfrastruktur sogenannte Charge Point Operator (CPO) gegenüber. Auch hier hält das Amt eine Differenzierung zwischen dem Betrieb von Ladepunkten auf und abseits von Autobahnen sowie zwischen dem Betrieb von Normalladepunkten und Schnellladepunkten für sinnvoll.
Die CPO sind zum einen gesetzlich verpflichtet, ihre Ladeinfrastruktur Endkunden zur „Ad hoc-Ladung“ zugänglich zu machen. Daneben treten typischerweise Mobilitätsdienstleister (E-Mobility Provider – EMP) an die CPO heran. Diese bündeln eine Vielzahl von Ladekunden, denen sie ein möglichst flächendeckendes Netzwerk von Ladepunkten zugänglich machen möchten. Die Abwicklung der Ladevorgänge wickelt der EMP ab. Zuletzt sieht das Amt noch einen Markt für Ladestrom, den es ebenfalls unterteilt in Ladestrom auf Autobahnen und abseits davon sowie über Normalladepunkten und durch Schnelladepunkte.
Ausgehend von der Nachfrage der Endkunden nach Ladestrom an öffentlichen E-Ladestellen tendiert das Amt, mit Blick auf die räumliche Marktabgrenzung, dazu, die Märkte für die Vergabe von Flächen zur Errichtung und zum Betrieb von Normalladepunkten als auch den Markt für deren Betrieb und Ladestrom selbst auf einen Umkreis von je 4 km um die jeweilige Fläche/den Ladepunkt abzugrenzen. Bei Schnelladepunkten und Ladepunkten auf Autobahnen sind die Entfernungen größer. Begründet wird diese, im Vergleich zu klassischen Tankstellen außerhalb von Autobahnen, eher kleinteilige räumliche Marktabgrenzung (dort geht das Amt regelmäßig von einem Umkreis von 20-30 Minuten Fahrtzeit um die jeweilige Tankstelle aus) mit der Länge der Ladezeiten. Der Ladevorgang nehme so viel Zeit in Anspruch, dass der Kunde versuche, die Ladezeit nicht schlicht abzuwarten, sondern anderweitig zu nutzen (z.B. zum Einkaufen o. ä.). Der Kunde werde daher versuchen den Ladevorgang in die sonstigen Abläufe des täglichen Lebens zu integrieren.
Es ist davon auszugehen, dass bei Annahme derartig kleiner Märkte eine Vielzahl von Unternehmen, auf den jeweiligen Märkten zur Vergabe von geeigneten Flächen bzw. als CPO oder EMP und Ladestromlieferant marktbeherrschend sein dürften. Im Bereich der Vergabe geeigneter Flächen werden dies regelmäßig Kommunen sein. Bereits heute befindet sich die deutliche Mehrzahl der bestehenden Ladesäuleninfrastruktur auf öffentlichen Flächen. Zudem sind die Stadtwerke bundesweit vergleichsweise aktiv im Bereich der Errichtung von Ladeinfrastruktur, dem Angebot von Mobilitätsdienstleistungen und der Lieferung von Ladestrom. Nach den Ermittlungen des Amts gibt es insofern oft kaum Wettbewerb.
Das Bundeskartellamt betont, dass seiner Auffassung nach gerade die Vergabe von öffentlichen Flächen regelmäßig unternehmerische und nicht etwa hoheitliche Tätigkeit der Kommune sei, auf welches das Kartellrecht uneingeschränkt Anwendung finde.
Den kommunalen Bereich nimmt das Amt besonders in den Blick. Dieser sei besonders problematisch, da eine Kommune oft auf mehreren der o. g. Märkte gleichzeitig aktiv sei. So vergebe eine Kommunen zum einen selbst die für Ladeinfrastruktur geeigneten öffentlichen Flächen und sei – typischerweise mittelbar über das lokale Stadtwerk – gleichzeitig als CPO und EMP sowie als Lieferant von Ladestrom aktiv.
Größere Zahl der Ladepunkte liegt bei öffentlichen Unternehmen
Nach Auffassung des Bundeskartellamts führe dies oft dazu, dass die kommunalen Stadtwerke bei der Vergabe von Flächen durch ihre „Mütter“, die Kommunen, bevorzugt würden und Dritte aus dem Markt herausgehalten würden. So sei es wohl kein Zufall, dass oft nur ein einziges Unternehmen, nämlich das örtliche Stadtwerk, Ladestellen auf öffentlichen Flächen betreibe oder jedenfalls die weitaus größte Anzahl der Ladepunkte bei dem lokalen Stadtwerk liege. Dies sei wettbewerblich problematisch. Kommunen müssten für Ladeinfrastruktur geeignete öffentliche Flächen diskriminierungsfrei vergeben. Auch die Konditionen der jeweiligen Vergabe könnten insoweit von Relevanz sein, z. B. eine exklusive Vergabe oder eine Vergabe für eine sehr lange Zeit.
Zudem sieht das Bundeskartellamt neben den Risiken eines Marktmachtmissbrauchs auf den verschiedenen Märkten auch die Gefahr, dass gegen das sogenannte Kartellverbot verstoßen wird. Nach dem Kartellverbot sind vereinfacht gesagt sämtliche den Wettbewerb beschränkenden Verhaltensweisen zwischen Unternehmen verboten, ohne dass es grundsätzlich auf Marktanteile ankommt. Schaut man sich den Abschlussbericht an, kann sich das Bundeskartellamt offenbar einiges an unzulässigen Verhaltensweisen vorstellen. So ist etwa die Rede von unzulässigem Informationsaustausch (auch über Dritte). Konkret angesprochen werden zudem unzulässig den Wettbewerb beschränkende Maßnahmen öffentlicher Stellen im Rahmen ihrer hoheitlichen Tätigkeiten. Auch hier sieht das Amt somit zumindest viel Potenzial für kartellrechtswidriges Verhalten im öffentlichen Umfeld.
Das Amt erkennt an, dass bei etwaigen Verstößen in einer Vielzahl der Fälle die Zuständigkeit zunächst bei den Landeskartellbehörden und nicht beim Bundeskartellamt liegen wird. Hier kann man sich aber offenbar gut vorstellen, in geeigneten Fällen einen Antrag auf Abgabe an das Bundeskartellamt zu stellen. Auch steht es natürlich den Landeskartellbehörden frei, sich die Auffassungen des Bundeskartellamts zu eigen zu machen und in Zukunft mittels kartellbehördlicher Maßnahmen durchzusetzen.