Ausblick
Die Tragweite der Entscheidung des EuGH ist offenkundig, weil die Europarechtswidrigkeit des § 24 Abs. 1 EnWG gleich mehrere nationale Verordnungen tangiert. Die normative Regulierung ist seit Einführung der Regulierung ein wesentlicher Baustein des nationalen Regulierungssystems der Bundesrepublik Deutschland. Die Entscheidung des EuGH stellt daher einen fundamentalen Eingriff in das nationale Regulierungssystem dar. Die detaillierten nationalen Verordnungen haben nach der EuGH-Entscheidung keinen Bestand. Der Gesetzgeber wird daher die bestehenden Regelungen in diesem Detailierungsgrad nicht halten können, um einen richtlinienkonformen Zustand herzustellen. Insbesondere dürfte eine „Hochzonung“ der Verordnungsregelungen in das EnWG nicht zulässig sein, weil der EuGH auch die Unabhängigkeit gegenüber dem nationalen Gesetzgeber (und nicht nur der Bundesregierung) betont.
In der Zukunft wird der Fokus nun mehr auf einer administrativen Regulierung liegen, weil die Regulierungsbehörden die Methoden und Tarife selbst festlegen müssen, was in Anbetracht der mit den jüngsten Beschlüssen des BGH (vgl. u.A. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2021, Az. EnVR 7/20, genereller sektoraler Produktivitätsfaktor) etablierten deutlich reduzierten Kontrolldichte der Gerichte von regulierungsbehördlichen Entscheidungen bedenklich ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen jüngsten Beschlüssen vom 29. Juli 2021 die Chance verpasst, den verfassungsrechtlich notwendigen Grenzen des Regulierungsermessens erste Konturen zu verleihen (BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2021, u.A. Az. 1 BvR 1588/20, Eigenkapitalzinsätze), indem es sich zur zentralen Rüge, der Verletzung des Gebots auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, schlicht enthalten hat. Die Ausführungen des EuGH zum Ermessen indizieren, dass das Unionsrecht, insbesondere die Unabhängigkeitsvorgabe, nicht fordern, dass die Beschwerdegerichte ihre Kontrolldichte so stark reduzieren. Der EuGH betont, dass die Mitgliedstaaten nach den Rechtsweggarantien der Binnenmarktrichtlinien nicht nur sicherzustellen haben, dass auf nationaler Ebene geeignete Verfahren bestehen, die einer betroffenen Partei das Recht geben, gegen eine Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde bei einer von den beteiligten Parteien und Regierungen unabhängigen Stelle Beschwerde einzulegen. Nach dem EuGH leitet sich ein solches Erfordernis aus dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ab, der ein allgemeiner, in Art. 47 der Charta verankerter Grundsatz des Unionsrechts sei. Auch die Ausführungen zur Meroni-Rechtsprechung des EuGH deuten darauf hin, dass eine starke Reduzierung der Kontrolldichte kein Erfordernis des Unionsrechtes ist. Der EuGH betont insoweit, dass der Regulierungsbehörde gerade kein politisches Ermessen zukommt, sondern die der Regulierungsbehörde „vorbehaltenen Zuständigkeiten in den Bereich der Durchführung, und zwar auf der Grundlage einer technisch-fachlichen Beurteilung der Wirklichkeit“ fallen. Der EuGH sieht dabei gerade durch die Vorgaben des Unionsrechtes eine wirksame Einschränkung des Ermessens der Regulierungsbehörde. Denn es sei zulässig, genau umgrenzte Ausführungsbefugnisse auf eine Behörde zu übertragen, deren Ausübung einer strengen Kontrolle im Hinblick auf die Beachtung objektiver Tatbestandsmerkmale unterliegt.
Fazit
Der EuGH hat entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland mit der Verordnungsermächtigung des § 24 EnWG für eine detaillierte normative Regulierung gegen die Vorgaben der Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie und der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie verstoßen hat. Nach dem Urteil aus Luxemburg müssen die Regulierungsbehörden vom Gesetz- und Verordnungsgeber unabhängiger agieren und die Methoden und Tarife für die Netzentgeltregulierung selbständig festlegen. Das Urteil wirft die naheliegende Frage auf, ob damit gleichzeitig nicht wieder eine stärkere gerichtliche Kontrolle der Regulierungsentscheidungen etabliert werden muss.